Joachim Sohns: „Zufall, Selbstorganisation und Emergenz“
Eine Einführung aus naturwissenschaftlicher Sicht.Hänssler-Verlag Holzgerlingen, Studium Integrale, Format 16,5 x 24, 157 Seiten, 24 Abb.
Nachfolgend eine Rezension von Daniela Täuber:
Bei geeigneten Rahmenbedingungen entstehen Ordnungsmuster in unbelebter Materie, d. h. Materie ist fähig zur Selbstorganisation. In den letzten Jahren erhöhte sich das Interesse an der Erforschung solcher Prozesse, da sich durch deren Ausnutzung unter anderem Produktionskosten senken lassen oder die gezielte Wirkung von Medikamenten verbessern lässt. Dabei stellte sich schon bald die Frage, inwieweit solche Effekte auch bei der Lebensentstehung eine Rolle gespielt haben können. Daneben lässt sich auch im Verhalten von Lebewesen, wie z. B. Ameisenvölkern, Fischschwärmen oder Bakterienkolonien eine z. T. hochkomplexe Ordnung feststellen, was auch als Selbstorganisation bezeichnet wird. Allerdings führt die Vielfalt der Prozesse und Beobachtungen nicht selten zu unsauberen Begriffsabgrenzungen. Sollen (Computer) modelle zur Beschreibung der Beobachtungen herangezogen oder soll gar über die Relevanz für Fragen der Lebensentstehung entschieden werden, ist eine klare Begrifflichkeit mit Angabe der jeweils erforderlichen Rahmenbedingungen unerlässlich.
Joachim Sohns stellt in diesem Buch zusammen, wie die Begriffe Zufall, Selbstorganisation und Emergenz in der Physik sowie in der Biologie und Chemie verwendet werden. Für das Verständnis der Begriffe und ihrer Anwendungen sind einige Vorkenntnisse über Wahrscheinlichkeiten, Statistik und Modellbildung erforderlich, die in dem vorliegenden Buch sehr anschaulich erläutert werden. Diese Einführung ist für Studienanfänger in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern richtiggehend zu empfehlen und sicherlich schon mit Abschluss der Sekundarstufe I verständlich. Eine ausführliche Quellenangabe und ein kurzer Anhang mit weiteren Erläuterungen erhöhen den Informationswert des Buches zusätzlich. Parallel zur Erklärung der technischen Begriffe fragt Joachim Sohns stets nach deren Bedeutung im jeweiligen Zusammenhang. So zeigt er z. B. auf: Die „Wahrscheinlichkeit, die für ein Ereignis angegeben wird, hängt immer damit zusammen, wie viel über das betreffende System bekannt ist.“ Daraus folgt, „Wahrscheinlichkeitsberechnungen können verwendet werden, um abzuschätzen, wie plausibel oder unplausibel ein bestimmtes Modell zur Lebensentstehung oder zur biologischen Evolution ist. Aus Wahrscheinlichkeitsaussagen können keine Beweise für oder gegen eine natürliche Lebensentstehung abgeleitet werden.“
In den folgenden Kapiteln wird das Auftreten von Selbstorganisation zunächst in der Physik und dann in Biologie und Chemie erläutert. In der Biologie lassen sich laut Joachim Sohns z. B. für die Modellierung drei verschiedene Ebenen einteilen: (i) eine Zelle, da sie viele verschiedene Moleküle enthält, (ii) ein Lebewesen, das wiederum aus vielen verschiedenen Zellen besteht und (iii) vorübergehende oder dauerhafte Gruppen, die aus vielen Lebewesen bestehen. Beispiele für die dritte Ebene sind Fischschwärme, die im Titelbild gezeigten Ameisenstaaten oder Bienenvölker. Mit dieser Ebene ist der Begriff der Schwarmintelligenz eng verbunden. Joachim Sohns geht auf jedes der eingangs genannten Beispiele und zusätzlich noch auf das Wachstum von Bakterienkolonien in einem eigenen Unterabschnitt ein. Dieses Kapitel schließt mit der Behandlung der Frage nach Selbstorganisation im Gehirn. Eine wichtige Feststellung dabei ist: „Mathematische Modelle zur Dynamik von Gehirnsignalen bauen auf starken Vereinfachungen auf. Dabei werden keine kausalen Zusammenhänge untersucht, sondern nur statistische Größen. Aus solchen Modellen können keine Aussagen über das konkrete Verhalten eines Lebewesens abgeleitet werden.“
In den Kapiteln zum Auftreten der Selbstorganisation in den einzelnen Fachgebieten werden die eingangs eingeführten Fachbegriffe verwendet, was für ungeübte Leser sicherlich einiges an Konzentration erfordert. Wichtige Inhalte werden jedoch durch das ganze Buch hindurch in verständlichen Textkästen hervorgehoben und als Abschluss eines jeden Kapitels zusammengefasst. Daher liest sich das Buch auch dann mit Gewinn, wenn nicht allen Kapiteln gleiche Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Relevanz von Selbstorganisation für die Lebensentstehung wird in einem eigenen Unterkapitel beleuchtet und in dem abschließenden Diskussionsteil noch einmal aufgegriffen. Hier werden auch weltanschauliche Fragen thematisiert. Insbesondere wird auf das Verhältnis von Wissenschaft und Schöpfungsglauben eingegangen und begründet, warum erstere kein umfassendes Bild der Wirklichkeit liefern kann.