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Uwe Zerbst, Peter van der Veen: „Keine Posaunen vor Jericho?“

Beiträge zur Archäologie der Landnahme
Hänssler-Verlag Holzgerlingen, 2. Auflage 2009. Reihe Studium Integrale, 155 Seiten, 60 Abb., Großformat 16,5 x 24, zahlr. Tab., Hardcover


Nachfolgend eine Rezension von Thomas Schirrmacher:

Vor zwei Jahren war es mir vergönnt, mit „Biblische Archäologie am Scheideweg?“1 eine Meisterleistung der beiden Herausgeber vorzustellen.2Auch wenn es gewisse Unterschiede des jetzt erschienenen kleinen Bruders gibt – so finden sich diesmal keine Beiträge verschiedener Autoren pro und contra bestimmte Positionen und bis auf einen Beitrag von John Bimson nur Beiträge der Herausgeber, die die verschiedenen Sichtweisen gründlich darstellen und vergleichen – könnte ich doch über das neue Buch über weite Strecken das gleiche Urteil abgeben. So gilt etwa folgendes gleichermaßen: „Dies Buch ist schon in der äußerlichen gebundenen Aufmachung und im Seitenbild beim reinen Durchblättern Spitzenklasse und eine einzige Einladung zum Kaufen und Lesen, was für ein wissenschaftliches Buch zu einem Spezialthema (also mit Ausnahme von auflagenstärkeren Lehrbüchern) sicher ungewöhnlich ist.“

Leider traf aber meine damals geäußerte Hoffnung nicht ein: „Es bleibt zu hoffen, dass dieser Einsatz ganz unabhängig davon, wie man zum Inhalt des Buches steht, dazu anregt, dass sich aus dem evangelikalen Bereich mehr Forscher finden, die an der internationalen Ausarbeitung einer neuen (oder der Verteidigung der alten) Chronologie der antiken Kulturen beteiligen … Schade, dass Vertreter evangelikaler theologischer Hochschulen in der ganzen Debatte fast völlig fehlen. (Wir schicken jedenfalls Studenten und Dozenten zu jeder W+W-Tagung zum Themenkomplex.)“ Jedenfalls ist der große Bruder in der säkularen Welt wesentlich intensiver rezipiert worden, als in der evangelikalen Theologie. So muss man den Herausgebern dankbar sein, dass sie selbst die Diskussion in Deutschland erneut vorantreiben.

Bis in die 1970er Jahre schien es aufgrund der Grabungsergebnisse John Garstangs in den 1930er Jahren Gewiss-heit zu geben, dass die zerstörten Mauern Jerichos tatsächlich existieren. Inzwischen gilt es jedoch für eine wachsende Zahl von Forschern als ausgemacht, dass weder die Einnahme von Jericho noch überhaupt die Landnahme je stattfand. Typisch ist etwa die 2003 auf Deutsch in „Keine Posaunen vor Jericho“ veröffentlichte Sicht von Israel Finkelstein und Neil Silbermann, dass sich hinter Josuas Maske König Josia verberge, der beweisen musste, dass Israel gegenüber seinen Feinden siegreich sei. Insbesondere die im Buch von Finkelstein & Silberman gründlich vorgestellten Modelle, die die Geschichte Palästinas im Lichte von Anthropologie und vor allem Soziologie deuten, haben für die historische Glaubwürdigkeit der Schrift einen ähnlichen Effekt wie seinerzeit die verschiedenen Quellenscheidungstheorien der historisch-kritischen Methoden in ihrer Frühzeit (so mit den Autoren S. 33).

Evangelikale, die sich für die Irrtumslosigkeit der Schrift einsetzen, haben schon länger kein Modell vorgelegt, wie die Eroberung Jerichos und die Landnahme im Licht der Ärchaologie so zu verstehen ist, dass sie mit der historischen Glaubwürdigkeit der Bibel in Einklang gebracht werden kann. Aber auch solche Evangelikale, denen diese Sicht zu eng erscheint, lassen praktisch meist offen, ob es sich bei der Landnahme überhaupt um historische Berichterstattung handelt oder nicht. Das hat dann aber nichts mehr mit Fehlern in der Bibel zu tun, sondern würde bedeuten, dass ein breiter Themenkomplex mehrerer alttestamentlicher Bücher frei erfunden ist.

Die Autoren Zerbst & van der Veen stellen zunächst einmal zu den angeschnittenen Themen die verschiedenen Positionen gründlich dar, darunter auch die Modelle, die absichtlich oder zufällig zu einer chronologischen Parallelisierung von im Alten Testament beschriebenen und tatsächlich nachgewiesen Ereignissen oder Tatbeständen führen. Darauf aufbauend schlagen die Autoren jeweils ein Modell als wahrscheinlichste Lösung vor und modifizieren oder aktualisieren es. Dabei geht es ihnen nicht um billige Lösungen, sondern sie listen selbst die Probleme und Anfragen zu ihren eigenen Vorschlägen auf. Sie können zwar zeigen, dass in allen Fällen sehr plausible Modelle vorliegen, jedoch noch viel Forschung nötig sein wird, um zu historisch gesicherten Erkenntnissen zu kommen.

Brilliant – dieses sei mir als Theologie gestattet, der sich für die historische Glaubwürdigkeit der Schrift ebenso einsetzt wie für die Notwendigkeit echter wissenschaftlicher Forschung in ihrem Umfeld – ist der Beitrag „Die Größe der israelitischen Bevölkerung während der Wüstenwanderung und der Landnahme“. Hier geht es vor allem um die viel zu großen Zahlenangaben im Alten Testament. Minutiös werden die Erklärungsmodelle gesichtet und gefragt, wie die hebräischen Begriffe wirklich zu verstehen sind. Zwar steht am Ende kein Modell, das alle Fragen aus der Welt schafft, aber doch eines, das eine sinnvolle Erklärung für niedrigere Angaben liefert, wie auch dafür, warum diese später missverstanden und falsch übersetzt wurden. Ist hier der evangelikalen Welt ein Exeget verloren gegangen oder zeigt sich nur, dass Nichttheologen oft besser geeignet sind, die historische Glaubwürdigkeit der Schrift aufzuzeigen?

Kurzum, ein Buch, an dem Archäologen wie Theologen und jeder am Alten Testament Interessierte nicht vorbeigehen dürfen.

Anmerkungen

1 Peter van der Veen, Uwe Zerbst (Hg.). Biblische Archäologie am Scheideweg? Für und Wider einer Neudatierung archäologischer Epochen im alttestamentlichen Palästina. Studium Integrale. edition ‚pascal’. Hänssler: Holzgerlingen, 2002. 535 S., geb.
2 „Biblische Archäologie am Scheideweg?“ Wort und Wissen Info Nr. 63 (2/2003), 2-3; ausführlicher in Professorenforum-Journal 4 (2003) 2, 33ff.

Keine Posaunen vor Jericho?
Peter van der Veen, Uwe Zerbst Keine Posaunen vor Jericho? 14,95 *

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