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Gustav Siewerth-Akademie (Hg.): „Erschaffen wir den Menschen neu?“

Transhumanismus aus christlicher Perspektive
Fe-Medienverlags GmbH, Kißlegg 2023, Preis: Euro 10.–


Nachfolgend eine Rezension von Tobias Kolb:

Dieser Sammelband, der von der römisch-katholischen Gustav-Siewerth-Akademie herausgegeben wurde, enthält die Diskussionsbeiträge ihres theologischen Sommerkurses 2022. Auf ihrer Website stellt sich die Akademie folgendermaßen vor: „Die Gustav-Siewerth-Akademie ist eine philosophische Hochschule, die sich im interdisziplinären Gespräch zwischen Professoren und Studenten der Auseinandersetzung mit den modernen Sozial- und Naturwissenschaften stellt und sich um die Vermittlung des christlichen Weltbilds bemüht.“ Dementsprechend bietet auch der Sammelband eine interdisziplinäre Vielfalt. Die Autoren eint dabei aber eine christliche, meist römisch-katholische Weltanschauung, die in den Beiträgen auch deutlich wird.

Der erste Beitrag „Transhumanismus, was ist das?“ stammt vom Arzt und Medizinprofessor Paul Cullen. Cullen, der auch für seine Aktivitäten im Bereich Lebensrecht und Corona-Aufklärung bekannt ist, umreißt die Geschichte des Transhumanismus kompakt in Grundzügen. Er beginnt bei Julian Huxley, dem Begründer des Transhumanismus und geht kurz auf die vier GRIN-Technologien ein (Gentechnik, Robotik, künstliche Intelligenz und Nanotechnologie), die als Schlüsseltechnologien des Transhumanismus gelten. Cullen unterscheidet zwischen den technischen Veränderungen, die auf uns zukommen werden (autonomes Fahren, technische Implantate etc.), und der szientistischen Utopie des Transhumanismus, die die eigentliche Gefahr darstellt. Die Gefahr besteht nach Cullen nicht in einer ihrer selbst bewusst werdenden Künstlichen Intelligenz, was er ausschließt, sondern darin, dass auf dem Weg in Richtung dieser Utopie viel Schaden angerichtet wird.

Der zweite Beitrag „Die Neuerfindung des Menschen – Eine sozialwissenschaftliche Analyse“ ist ein Debattenbeitrag der Sozialwissenschaftlerin Susanne Hartfiel. Sie startet und landet bei einer Rede von Papst Benedikt XVI über die Ökologie des Menschen. Benedikt XVI betonte darin, dass der Mensch sich nicht selbst macht, sondern seine Freiheit nur im Einklang mit seiner geschaffenen Natur verwirklichen kann. Hartfiel stellt dann auch in ihrem Aufsatz der christlichen Kultur des Lebens die transhumanistische Kultur des Todes entgegen. Sie beschreibt die Zusammenhänge zwischen Transhumanismus und der LGBTQ-Bewegung, sowie seine Wurzeln in der Eugenik. Die verschiedenen Gruppierungen, die der Transhumanismus mit seiner laxen Ethik unter sich vereint, werden beleuchtet und dabei nicht nur Eugeniker und Laborzeuger (Hartfiels Bezeichnung für Labormediziner, die künstliche Zeugungen durchführen), sondern auch Sterbehilfelobbyisten und Leihmutterschaftsagenturen genannt. Dabei erwähnt sie sowohl das evolutionäre Menschenbild als einen weltanschaulichen Grundpfeiler des Transhumanismus als auch die Familienpolitik der gegenwärtigen „Ampel“-Regierung als einen Ausdruck dieses Menschenbildes. Dieser etwas längere Aufsatz beschreibt vor allem auf sozialwissenschaftlicher und bioethischer Perspektive das antichristliche Menschenbild des Transhumanismus und kritisiert es von der Warte einer christlichen Anthropologie.

Im dritten Beitrag „Die Renaissance als Wiege des neuen Menschen“ des  Priesters Winfried König werden die Wurzeln des Transhumanismus im 15. Jahrhundert untersucht. Dabei liegt der Fokus auf Giovanni Pico della Mirandola (1463-1494), einem Humanisten mit Einflüssen aus der Kabbala und dem Neuplatonismus. Pico sieht den Menschen zwar als Geschöpf, doch gleichzeitig gewissermaßen als Schöpfer seiner selbst. Weil der Humanismus über Gott im Grunde nichts Konkretes mehr auszusagen weiß, wird der Mensch zum Maß aller Dinge. Darin sieht König die Grundlage für eine moderne, säkulare Anthropologie, die den Menschen statt Gott zum Zentrum hat.

Der vierte Beitrag „Der Mensch nach Gottes Bild – Atheistischer Posthumanismus oder christliches Menschenbild“ stammt von Reinhard Kardinal Müller. Der Kardinal hält darin eine regelrechte Predigt gegen den Posthumanismus, wobei er immer wieder auf Nietzsche und den Nihilismus zu sprechen kommt. Von dort aus zieht er eine Linie über Heidegger und Hitler und über den Kommunismus bis hin zum kapital-sozialistischen Materialismus der neuen Weltordnung. Dabei bleibt auch eine Kritik an den gegenwärtigen Positionierungen der Deutschen Bischofskonferenz nicht aus. Als Alternative zur Hoffnungslosigkeit des Nihilismus setzt Müller den auferstandenen Christus als Weg, Wahrheit und Leben.

Der Beitrag „Das Verschwinden der Person im Transhumanismus“ des Theologen und Philosophen Michael Stickelbroek kritisiert die Idee eines Cyborgs. Stickelbroek erläutert die transhumanistische Cyborgidee, die beim Smartphone beginnt und in die Verschmelzung aus Mensch und Maschine münden soll. Er beleuchtet mögliche Triebfedern für diese Verschmelzung wie etwa den militärischen Nutzen. Stickelbroek geht aber auch auf den Genderismus ein, da dieser mit seiner Entflechtung der Leib-Seele-Verbindung dem transhumanistischen Denken Vorschub leistet. Diesem Konzept stellt er ein aristotelisches Konzept von Person und Mensch entgegen, welches auf der Einheit von Leib und Geist basiert. Demnach gibt es immer einen qualitativen und essenziellen Unterschied zwischen Person und „Artefakt“, also zwischen Mensch und Technik. Die Technik wird daher weder Mensch werden können noch in der Lage sein, wirklich mit ihm zu verschmelzen.

Der Debattenbeitrag des  Theologen und Hochschulprofessors Werner Thiede, „Der digitale Turmbau zu Babel – Technischer Fortschritt als kulturelle Herausforderung“, ist im Wesentlichen eine Warnung vor den Gefahren der Digitalisierung. Thiede äußert dabei sowohl Bedenken bzgl. Ökologie und Möglichkeiten der Überwachung, hat aber auch Zweifel an der Idee einer KI mit eigenem Bewusstsein. Thiede bringt als einziger evangelischer Theologe auch die protestantischen Denker der Geschichte und Gegenwart in Stellung. Er bezieht sich nicht nur auf aktuelle Debattenbeiträge, etwa von Wolfgang Huber, sondern wendet auch den dreifachen Begriff des Aufgehoben-Seins von Hegel auf den Transhumanismus an. Der Mensch bzw. Humanismus wird im Transhumanismus aufgehoben in dreierlei Weise: 1.bewahrt, 2. hinaufgehoben (erhöht) und 3. durchgestrichen. Thiede schließt seinen Beitrag mit einem Ausblick auf die Neuschöpfung Gottes, der im Gegensatz zu allem transhumanistischen Götzendienst und menschlichen Unsterblichkeitsstreben sein Reich selbst errichten wird.

Der letzte Beitrag „Der Mensch als Datenstrom – ein informationswissenschaftlicher Blick auf den Transhumanismus“ von Dirk Weisbrod ergänzt den Sammelband um eine wichtige Perspektive. Er erklärt den Transhumanismus als Datenreligion, dessen Hoffnung auf eine unsterbliche Superintelligenz gesetzt wird, in der alle Menschen aufgehen und am Ende ein antichristlicher Gegenentwurf zur Idee der ewigen Einheit im Leib Christi ist. Außerdem geht Weisbrod stark auf das Sammeln und Auswerten von Daten ein, das uns, wie z.B. der Transhumanist Stefan Sorgner fordert, auch in Europa in einen Überwachungsstaat führen könnte. Am Ende seines Beitrags verweist Weisbrod auf die vatikanische Äußerung zur künstlichen Intelligenz, den „Rome Call for AI“ und die Gründung der RenAIssance Foundation, einer vatikanischen NGO, die sich konstruktiv-kritisch an der Diskussion über KI beteiligen möchte. Diesen Initiativen steht Weisbrod hoffnungsvoll gegenüber. Er plädiert für eine nüchterne und menschenorientierte Nutzung von KI.

Fazit

Der Sammelband ist durchaus lesenswert. Die unterschiedlichen Fachrichtungen der Autoren eröffnen verschiedene Blickwinkel auf das Thema Transhumanismus und seine vielfältigen Wurzeln und Teilaspekte. Durch die hohe Anzahl der unterschiedlichen Autoren und die damit gegebene Variation im Stil wird auch eine gewisse Kurzweiligkeit gewährleistet. So sind manche Beiträge eher im Stil einer wissenschaftlichen Publikation oder eines Hochschulvortrags gehalten, während andere einen Essay- oder fast schon Predigtstil haben. Damit ist dem Leser sowohl ein nüchterner Tiefgang, als auch eine klare Zuspitzung geboten. Natürlich gibt es auch manche inhaltliche Doppelungen, wo die Autoren unabhängig voneinander zu denselben Schlüssen gekommen sind, auf die gleichen Autoren Bezug nehmen oder die transhumanistische Position erläutern. Diese Überschneidungen sind aber kaum störend. Alle Autoren schreiben aus einer christlichen Perspektive, die an vielen Stellen klar zu Tage tritt. Dabei fällt natürlich die starke Beheimatung der meisten Autoren in der römisch-katholischen Kirche auf, wodurch für den evangelischen oder evangelikalen Leser manches unbekannt oder von geringerem Interesse sein wird. Die biblische Analyse trifft den Nagel trotzdem oft auf den Kopf. Alles in Allem ist der Sammelband ein wichtiger Beitrag zur Diskussion um die theologische Einordnung des Transhumanismus und liefert auch einige Literaturhinweise zum weiteren Vertiefen des Themas.

Tobias Kolb