C.H. Kang, E.R. Nelson: „Erinnerungen an die Genesis“
Die Chinesen und die biblische UrgeschichteHänssler Verlag 1998
Nachfolgend eine Rezension von Fred Hartmann:
Ein wichtiger Bereich der Schöpfungsforschung ist der Nachweis von Spuren der biblischen Urgeschichte in den Sagen und Überlieferungen der Völker. In der älteren1 und neueren2 christlichen Literatur gibt es nur wenige Beispiele, in denen diese Thematik aufgegriffen wird, und das Wissen um Inhalte der ersten 11 Kapitel des AT (Schöpfung, Sündenfall, Sintflut, Turmbau) in den ältesten Traditionen der Menschheit ist selbst unter Bibelkennern nicht überall verbreitet.
Das vorliegende Buch des chinesischen Pastors C.H. Kang und der amerikanischen Pathologin und ehemaligen Missionarin Ethel R. Nelson nimmt sich nun dieser Thematik an und stellt eine interessante und faszinierende Variante aus der chinesischen Kulturgeschichte vor. Worum geht es? C.H. Kang stieß in den 20er Jahren dieses auslaufenden Jahrhunderts in einem chinesischen Lehrbuch auf den Hinweis, daß das chinesische Schriftzeichen für „Schiff“ aus den Elementen „Gefäß“, „Person“ und der Zahl acht zusammengesetzt ist. In einem Kommentar stand dazu als Fußnote, daß „interessanterweise in Noahs Arche, dem ersten großen Boot, acht Personen an Bord waren“. Kang überlegte sich: Wenn das kein Zufall ist, dann müßte es noch mehr Zusammenhänge zwischen der chinesischen Schrift und Inhalten aus der biblischen Urgeschichte geben. Er fand sie und begann eine über 40jährige Forschungsarbeit. In dieser Zeit entdeckte er eine Fülle von Beispielen, in denen er eine Beziehung zwischen Bibel und chinesischer Schrift herstellen konnte.
Das Ergebnis seiner Untersuchungen läßt sich in folgender Behauptung zusammenfassen: Gottgläubige Chinesen haben nach der babylonischen Zerstreuung eine eigene Schriftkultur entwickelt und dabei die Erinnerung an die ersten Ereignisse der Menschheitsgeschichte in den Schriftzeichen festgehalten. Ethel Nelson griff Kangs Forschungsergebnisse auf, strukturierte sie neu und ergänzte sie durch wichtige Hintergrundinformationen über die chinesische Schrift und Kultur. 1974 wurde das Buch in englischer Sprache veröffentlicht und seit 1998 liegt das Werk nach mehrjähriger Vorbereitung nun auch in deutscher Sprache vor.
Was erwartet den Leser bei der Lektüre?
Nach einigen grundsätzlichen Überlegungen zur Gesamtthematik geben die Autoren einen Abriß über die frühe Geschichte und Religion Chinas. Dabei wird der bisher wenig beachtete Umstand hervorgehoben, daß lange vor der Einführung des Buddhismus (1. Jh. v.Chr.) und des Taoismus sowie des Konfuzianismus (5. Jh. v. Chr.) die Chinesen weder Polytheismus noch Götzenkult kannten, sondern nur EINEM Gott dienten, den sie „Shang Ti“ (den himmlischen Kaiser) nannten. (Der monotheistische Ursprung der chinesischen Religion ist übrigens eine Beobachtung, die man bei der Mehrzahl der Völker machen kann. Sie widerspricht der Vorstellung von einer sog. Evolution der Religionen, die eine Entwicklung vom Animismus über den Polytheismus zum Monotheismus postuliert.)
In einer „Einfachen Lektion über das ‚Bilden von Schriftzeichen'“ wird der Leser anschließend in die „Geheimnisse“ der chinesischen Schrift eingeführt, danach kommen die Autoren zum Hauptteil: Sich an der chronologischen Reihenfolge der biblischen Urgeschichte orientierend, entschlüsseln sie zahlreiche Schriftzeichen und führen akribisch genau aus, wie eng die Bedeutung der Schreibsymbole mit Inhalten aus den ersten 11 Kapiteln der Bibel verknüpft ist.
Dazu zwei Beispiele:
Oben wurde schon der Begriff „Schiff“ erklärt. Das Zeichen für Turm stellt eine gleichermaßen verblüffende Übereinstimmung mit urgeschichtlichen Inhalten her (s. Abb.). Es setzt sich zusammen aus „unternehmen“ + „Ton“ der Begriff „Ton“ wiederum aus den Einzelelementen „vereinigt“ + „Unkraut“ (Der Begriff „Unkraut“ wird von Kang/Nelson nach Gen. 3,18 als Symbol für den in Sünde gefallenen Menschen [„Fluch Adams“] gedeutet [S. 109]). Zum Begriff „Turm“ schreiben Kang/Nelson: „Die Chinesen selbst bauten keine Türme oder Pagoden bis zur Einführung des Buddhismus. Dieses Schriftzeichen für Turm muß sich daher mit großer Wahrscheinlichkeit auf den Turm von Babel beziehen“ (S. 110).
Ein weiteres Beispiel: Das chinesische Zeichen für „erschaffen“ setzt sich zusammen aus: Staub + Mund + lebendig (= sprechen) + gehen = erschaffen. Kang/Nelson kommentieren: „Man kann geradezu das Handeln Gottes sehen, wie er einen Körper aus dem Staub der Erde formt und mit seinem Mund dem Menschen, den er aus Erde gemacht hat, den Atem des Lebens (= lebendig) in die Nase haucht und Adam ein lebendiges Wesen wird. Er wurde als Erwachsener geschaffen und war in der Lage zu sprechen und auch zu gehe.“ (S. 53).
Bei allem berechtigtem Erstaunen und aller Faszination angesichts der Nähe vieler chinesischer Schriftzeichen zur Heiligen Schrift muß aber doch einschränkend bemerkt werden, daß manches an Kang/Nelsons Ausführungen auch Interpretation ist bzw. sein kann.
Für den Bibelleser, der an die Authentizität der Urgeschichte glaubt, sind die Erklärungen einleuchtend, wer dagegen die Geschichtlichkeit der biblischen Urgeschichte ablehnt, wird manche Ausführungen von Kang/Nelson als subjektiv und zielgerichtet zurückweisen.
Auch stellen nicht alle in dem Buch erläuterten Schriftzeichen zwingend einen Bezug zur Genesis her3, aber bei der Fülle der vorgestellten Beispiele erhebt sich doch die Frage, ob es für die vielen wirklich verblüffenden Übereinstimmungen eine andere befriedigende Erklärung gibt.
Kang/Nelson sehen das Problem und diskutieren alternative Deutungen, machen aber deutlich, daß für sie die Bewahrung kollektiver Menschheitserinnerungen an die Genesis die einzig plausible Erklärung sei. Die Verfasser sprechen sich darüber hinaus für die historische Gültigkeit der Genesis aus und erteilen Evolutionsvorstellungen eine klare Absage, versprechen aber zu Beginn ihrer Ausführungen, die Fakten wertfrei und undogmatisch darzustellen, um nicht Andersdenkende „vor den Kopf zu stoßen“ (S. 15). Diese Absicht ist redlich und in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung um die Wahrheit der Heiligen Schrift unverzichtbar, wird aber von den Autoren selbst nicht ganz konsequent durchgehalten, denn schon einige Seiten später liest man die provokative Behauptung, daß der Einfluß der Schule durch „evolutionistische Inhalte zur Folge habe, daß viele Menschen eine schlechte Meinung bezüglich der Urgeschichte hätten und nur Aussagen aus der wissenschaftlichen Welt als Tatsachen akzeptierten.“ (S. 22, Hervorhebung v. Verf.)
Auch hier gilt: Die Wahrheit der Bibel läßt sich nicht beweisen, aber sie kann sich dem Suchenden und Glaubenden erschließen. So mag man denn in einer Beurteilung von „Erinnerungen an die Genesis“ die eine oder andere Erklärung zu den chinesischen Schriftzeichen als problematisch bzw. zielgerichtet auf Bestätigung der Bibel hin empfinden, aber in der Gesamtheit der vorgestellten Beispiele – und ich denke, das ist die wirklich angemessene Betrachtungsweise – wird überzeugend ein Zusammenhang zwischen biblischer Urgeschichte und chinesischer Schrift deutlich. Auch wenn es aus erkenntnistheoretischer Sicht keine Beweise für die historische Gültigkeit der biblischen Überlieferung gibt, so verfügen wir doch über zahlreiche Hinweise, die die Glaubwürdigkeit gerade auch der ersten Kapitel der Bibel in ihrem geschichtlichen Anspruch untermauern. Dazu ist „Erinnerungen an die Genesis“ ein interessantes und lesenswertes Beispiel, das sich Bibelleser und an der Thematik Interessierte nicht entgehen lassen sollten.
Anmerkungen
- u.a. Lüken: Die Traditionen der Menschengeschichte. Münster 1856 und 1869, Riem: Die Sintflut in Sage und Wissenschaft. Hamburg 1925 und Andree: Die Flutsagen ethnographisch betrachtet. Verlag Friedrich Vieweg und Sohn, 1891.
- u.a. Richardson: Ewigkeit in ihren Herzen. Bad Liebenzell 1983 und Hartmann: Der Turmbau zu Babel – Mythos oder Wirklichkeit? Neuhausen-Stuttgart, 1999.
- Das Zeichen für „Frucht“ (zusammengesetzt aus den Elementen „Garten“ und „Baum“) erscheint auch ohne den biblischen Hintergrund allein aus botanischer Sicht plausibel und muss nicht zwingend im Sinne der Paradiesgeschichte gedeutet werden, ist aber mit dieser verträglich und fügt sich so gesehen widerspruchsfrei in den Gesamtrahmen der inhaltlichen Aussagen des Buches ein.