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DVD-Reihe „Patterns of Evidence“: „The Red Sea Miracle (Teile 1 und 2)“

DVD Patterns of Evidence. The Red Sea Miracle, 2 Teile. Teil 1: 114 Minuten, Teil 2: 142 Minuten.


Nachfolgend eine Rezension von Pieter Gert van der Veen:

Dieses Jahr hatten gleich zwei neue Filme der inzwischen bekannten Dokumentarfilmreihe „Patterns of Evidence“ von Timothy Mahoney Premiere: Teil 1 (Februar 2020) und Teil 2 (Juli 2020) des Films „The Red Sea Miracle“ („Das Wunder vom Roten Meer“).[1] Beide Teile werden demnächst auch auf Deutsch bei Inner-Cube als DVD erhältlich sein.[2] Die ersten beiden Filme in der Dokumentarfilmreihe („Exodus“ und „Die Mose Kontroverse“), die beim gleichen Verlag auf Deutsch erhältlich sind, sind empfehlenswert, wobei mir der erste Film in Bezug auf wissenschaftliche Recherche und 3-D Darstellungen am besten gefallen hat.

Leider sind die neuesten Filme wissenschaftlich gesehen deutlich weniger ausgewogen und lassen zu wünschen übrig, da der ernsthafte Versuch, Bibel und Archäologie objektiv zu verbinden, zunehmend gefehlt hat. Im Folgenden möchte ich beide Teile besprechen:

 

Teil I diskutiert die Frage, welche Route die Israeliten nach dem Exodus wählten und wo sich das Schilfmeer (auch Rotes Meer genannt) befand (Abb. 1). Es werden zwei Hauptpositionen vorgestellt, die von den Filmemachern die „ägyptische“ und „hebräische Herangehensweise“ genannt werden. Während die ägyptische Herangehensweise das Ereignis irgendwo in der Nähe der nordöstlichen Grenze des ägyptischen Nildeltas ansetzt (wo sich flachere Seen und Kanäle befanden), wird das Ereignis nach der hebräischen Vorgehensweise auf der Ostseite der Sinai-Halbinsel am tieferen Golf von Akaba (bei Nuweibe) verortet. Diese Theorie wurde ursprünglich vom inzwischen verstorbenen Amateurarchäologen Ron Wyatt[3] vertreten, der in Teil II eine wichtigere Rolle zugeteilt bekommt. Obwohl die Filmemacher offensichtlich versucht haben, den Befürwortern beider Ansätze ausreichend Zeit einzuräumen, um ihre Ansichten darlegen zu können, ist die Gesamtausrichtung beider Teile des Films durchweg klar: dass nämlich nur der hebräische Ansatz ihrer Meinung nach der biblischen Erzählung des Exodus entspricht. Ich habe im Anhang 2 unserer Neuauflage von „Keine Posaunen vor Jericho?“ dargelegt, warum ich mit dem hebräischen Ansatz nicht einverstanden bin, indem ich erklärte, dass die biblischen Ortsnamen der Exodusnarrative mit gleichnamigen bzw. ähnlichen Toponymen (geographische Namen) in ägyptischen Inschriften gleichgesetzt werden können.[4] Eine solche Übereinstimmung liegt jedoch für die hebräische Herangehensweise nicht vor, denn für sie gibt es keine außerbiblischen Belege, sondern nur einige von Amateurhistorikern vorgeschlagene fadenscheinige Vorschläge. Tatsache ist, dass die Toponyme des Exodus Sukkot (ägyptisch Tjeku), Etam (ägyptische Insel des Gottes Atum?), Baal-Zaphon (Tell Daphne oder Tell Ahmar), Migdol, Pihahirot und Jam Suph allesamt in Inschriften des ägyptischen Neuen Reiches aus der Zeit der Ramessiden (konv. ca. 1200 v. Chr.) belegt sind und zwar alle an der Nordostgrenze des ägyptischen Nildeltas, d.h. im Wadi Tumilat und zwischen Tjaru (Tell Hebua I und II) und den sog. Bitterseen. Die Filmemacher machen uns jedoch glauben, dass diese Gleichungen fraglich sind. Dem ist nicht so (wie im o. g. Anhang genauer begründet).

Abb. 1: Karte des ägyptischen Ostdeltas mit den im Text besprochenen Ortschaften und Gewässern. (Nach Vorgaben einer Karte von Dr. Bryant Wood, Associates of Biblical Research)

Auch wenn der kanadische Ägyptologe Donald Redford im Film argumentiert, dass zumindest einer der Exodusorte, nämlich Baal-Zaphon (Tell Daphne), zur Zeit des Exodus nicht existiert habe, so ist entgegenzuhalten, dass Manfred Bietak (Ägyptologe an der Universität Wien) das frühere Baal-Zaphon mit R3-3ḥw (einem Tempelbezirk des Gottes Seth/Baal um konv. 1650 v. Chr.) auf dem heutigen Tell Ahmar, nordöstlich der Ramsesstadt (Avaris), gleichsetzt.[5] Dieser Ort wird auch in ramessidischen Inschriften um konv. 1200 v. Chr. erwähnt, wo er kurz „Baal“ genannt wird. Die Behauptung der Filmemacher, dass für das biblische Migdol (wörtlich „Wachturm“ bzw. „Festung“) mehrere Orte in Frage kämen, und dass es an der Ostseite der Sinai-Wüste dafür durchaus auch Beispiele gebe, stimmt so nicht. Erstens gibt es keine schriftlichen und archäologischen Belege dafür, dass die Pharaonen je soweit östlich Grenzbefestigungen bauten. Zweitens gibt es wenig Zweifel darüber, dass das biblische Migdol (d.h. Magdalu in Amarnabrief 234, um konv. 1350 v. Chr.) das bekannte Migdol an der Nordostgrenze des Deltas ist. Der Ort dürfte zur Zeit des Exodus mit den in dieser Region ausgegrabenen Siedlungen T-78 oder T-116 (Tell Ebeda) identisch sein bzw. mit dem nahegelegenen Tjaru (Sile), das mit Tell Hebua I und II identisch ist.[6] Alle diese Orte weisen eine Besiedlung während des späten Mittleren Reiches und der Zweiten Zwischenzeit auf (konv. 1700–1550 v. Chr.), als unserer Meinung nach die Israeliten in Ägypten wohnten.[7] Es besteht wenig Zweifel, dass die biblischen Ortsnamen des Exodus allesamt Orte in der Nähe der nordöstlichen Grenze des Nildeltas betreffen, eben da, wo die ägyptischen Texte sie verorten. Drei dieser Namen kommen in Papyrus Anastasi III 2.8–12 zusammen vor: p3-tjwfi (Bezirk der Papyrus-Sümpfe = Jam Suph), Baal (das biblische Baal Zaphon) und p3-ḥrw („der Kanal“), das wahrscheinlich mit dem biblischen Pihahirot (Pluralform: „Mündung der Kanäle“) gleichzusetzen ist.[8]

Die Filmemacher bezweifeln, dass sich nahe der Ostgrenze des Nildeltas eine so große Bevölkerungsgruppe fortbewegt haben kann, wie ihrer Meinung nach im Buch Exodus beschrieben wird und dass ein sehr viel größeres Gewässer erforderlich wäre, um den Israeliten ihren Übergang in die Freiheit zu gewähren. Dies dürfte jedoch auf einem Missverständnis beruhen. Denn das hebräische Wort „eleph“ (das oft mit „Tausendschaft“ übersetzt wird) kann alternativ mit „Militäreinheit“ (einer unbestimmten Anzahl von Personen) gedeutet werden, wie bereits seit Langem diskutiert wird. Während die meisten Bibelübersetzungen in Exodus 12,47 „600 eleph“ mit „600.000 wehrfähigen Männern“ übersetzen (was eine Gesamtbevölkerung Israels von 2–3 Millionen Menschen ausmacht; das Fremdvolk, das mit ihnen auszog, nicht mitgerechnet, vgl. Exodus 12,38), dürfte es sich in Wirklichkeit um 600 Militäreinheiten gehandelt haben, was folglich eine Gesamtbevölkerungssumme der Israeliten von zwischen 50.000–100.000 Personen beinhalten würde. Uwe Zerbst (in „Keine Posaunen vor Jericho?“) und Michael Künzler (in Vorbereitung) haben detailliert aufgezeigt, dass diese Bedeutung auch anderswo im Alten Testament (v.a. in Auflistungen während der Wüstenwanderung und der Landnahme) durchaus Sinn macht.[9] Die alternative Übersetzung scheint vernünftig, denn es wird geschätzt, dass in ganz Ober- und Unterägypten während des Mittleren Reiches etwa 2–3 Millionen Menschen gelebt haben.[10] Auch wenn diese Zahlen keineswegs präzise sind, müsste man bei der traditionellen Sicht davon ausgehen, dass Ägypten nach dem Auszug entweder menschenleer war oder zumindest nur noch von ganz wenigen Leuten bewohnt wurde. Dies entspricht jedoch nicht dem Bild, das wir im Buch Exodus vorfinden. Trotz der 10 Plagen und dem Sterben aller Erstgeborenen scheint es immer noch genügend Ägypter gegeben zu haben, die den Israeliten ihr Gold und Silber schenkten (Exodus 12,30). Auch scheint Pharao immer noch imstande gewesen zu sein, ein beträchtliches Heer zu mobilisieren, um Israel nachzujagen (Exodus 14,6–9).

Abschließend zum 1. Teil möchte ich betonen, dass ich die Vorgehensweise der Filmemacher für falsch halte, wenn sie nur den hebräischen Text als Grundlage nehmen, ohne dabei auch archäologische und ägyptologische Fragen zu berücksichtigen. Diese Einstellung überrascht um so mehr, da in den ersten beiden Filmen (zum Exodus und zur mosaischen Autorschaft des Pentateuchs) archäologische Funde durchweg eine wichtige Rolle spielten. Warum auf einmal diese Zurückhaltung in Bezug auf Archäologie und Ägyptologie? Ich halte die Archäologie für eine wichtige Datenquelle bei der Erforschung der biblischen Vergangenheit. Dies hat nichts damit zu tun, der Bibel nicht vertrauen zu wollen oder an Gottes Wunderwerken zu zweifeln. Vielmehr sollen beide Informationsquellen angemessen berücksichtigt werden. Auch ist nicht nachvollziehbar, warum die Überquerung eines untieferen Sees an der Ostgrenze des Nildeltas mit einer kleineren israelitischen Bevölkerung und die Teilung des Meeres durch ein Naturphänomen wie einem starken Ostwind weniger wunderhaft gewesen sein soll. Denn Exodus 14 nennt den Ostwind und lokalisiert das Ereignis in der Nähe der oben genannten Ortschaften an der Ostgrenze des Nildeltas. Die Frage ist also nicht, ob man glaubt, ob Gott noch größere Dinge tun kann, sondern vielmehr, was im Bibeltext steht und wo sich die genannten Orte befanden. Die Tatsache, dass diese Orte in altägyptischen Inschriften belegt sind, untermauert doch geradezu die Historizität der biblischen Geschichte und zeigt, dass wir zudem mit guten Gründen glauben dürfen, dass die Geschichte zuverlässig ist und dass die Israeliten entkommen sind, indem Gott sie aus Ägypten führte.

 

In Teil 2 wird das Thema Wunder allgemein und spezifisch am Beispiel der Teilung des Jam Suph (Schilfmeer bzw. Rotes Meer) hervorgehoben. Die allgemeine Diskussion wird von Spielszenen begleitet, die den schottischen Aufklärungsphilosophen David Hume aus dem 18. Jahrhundert und eine Konversation zwischen dem britischen Apologeten C. S. Lewis und seinem berühmten Freund J. R. R. Tolkien zeigen. Anschließend beschäftigt sich die Diskussion mit der Teilung des Jam Suph. Dabei steht die Frage im Zentrum, ob Gott Naturphänomene genutzt hat, um sein Volk zu erlösen (wie Befürworter beider Ansätze, einschließlich Colin Humphreys, behaupten), oder ob Gottes Eingreifen ohne solche Phänomene auskommt. Ausgehend von Israels Lobgesang am Schilfmeer in Exodus 15 argumentieren die Filmemacher, dass dieses Geschehen wohl so beeindruckend war, dass nur eine wundersame Teilung eines tiefen Gewässers wie das des Golfs von Akaba in Frage käme. Folglich argumentieren sie, dass die Mauern aus Wasser, die sich links und rechts der Israeliten erhoben, so gewaltig gewesen sein müssen, dass sie das Gottesvolk um das Vielfache überragt haben müssen. An dieser Stelle wird uns das Bild der Überquerung aus dem Hollywoodklassiker „Die zehn Gebote“ von Cecil DeMille aus dem Jahre 1956 vor Augen geführt. Als Kind sah Tim Mahoney die gewaltigen Bilder des Monumentalfilms, die sein Verständnis des Geschehens bis heute geprägt haben. Denn genau so müsse sich, seiner Meinung nach, das biblische Schauspiel ereignet haben. Während Mahoney dieses tiefe Wasser am Golf von Akaba lokalisiert, hat Cecil DeMille das Spektakel irrtümlich an der Ostgrenze Ägyptens verortet, wo es ein solches tiefes Gewässer nie gegeben hat. Dies heißt aber nicht, dass die flacheren Seen an der Ostgrenze Ägyptens immer gleich tief gewesen sein müssen. Neuere Studien legen nahe, dass zur Zeit des Alten und Mittleren Reiches (d.h. zwischen 5000–3500 radiometrische Jahre BP) diese Salzseen vor einer zunehmenden Versalzung des Gebietes deutlich größer waren und dass die Uferlinie des Mittelmeers weiter südlich lag als heute der Fall ist.[11]

Ähnlich wie in Teil 1 vergleicht Tim Mahoney erneut die beiden Ansätze, der „ägyptische“ und der „hebräische“. Während der „ägyptische Ansatz“ versuche, den von den Israeliten eingeschlagenen Weg anhand altägyptischer Quellen zu erklären (wie oben erläutert wurde), gelinge es den Vertretern des „hebräischen Ansatzes“ ohne außerbiblische Quellen auszukommen. Während nach Ansicht der Filmemacher die meisten Befürworter der „ägyptischen Herangehensweise“ versuchten, die Wolken- und Feuersäule und die Überquerung des Meeres als Naturphänomene zu erklären, betrachteten viele Befürworter des „hebräischen Ansatzes“ diese als gewaltige Wunderzeichen göttlicher Machtentfaltung. Folglich erscheint ihrer Meinung nach der „hebräische Ansatz“ der meist biblische zu sein.

Es gibt jedoch einen Grundton im Film, der mir nicht gefällt. So hat es den Anschein, dass die Filmemacher die Ägyptologie für eine antibiblische Disziplin halten, die mehrfach dazu geführt hat, dass Suchende die Wahrheit (in diesem Fall die Lokalisierung am Golf von Akaba) nicht erkannt haben. Das ist nicht überzeugend, denn es gibt viele bibelgläubige Ägyptologen, wie James Hoffmeier, Michael Hasel und nicht zuletzt den bekannten britischen Ägyptologen Kenneth Kitchen, die entscheidende Indizien für die Historizität des Alten Testaments geliefert haben.[12] Die oben erwähnten biblischen Ortsnamen sind dafür ein gutes Beispiel. Ebenso deuten ägyptische Lehnwörter, die in den ersten Büchern der Bibel vielfach verwendet werden, darauf hin, dass die biblischen Schriftsteller die ägyptische Sprache verstanden haben.[13] Dies scheint die biblische Sicht zu unterstreichen, dass die Israeliten während einer längeren Zeit in Ägypten wohnten und dass der Autor der ersten Bücher der Bibel sein Handwerk als Schreiber in Ägypten lernte (auch Apostelgeschichte 7,22). So wurde Moses als Prinz am ägyptischen Hof erzogen und, wie dies für alle Königssöhne üblich war, in der Tempelschule ausgebildet. Zudem war Josef, der in den späten Kapiteln der Genesis die Hauptperson ist (Kap. 37–50), der zweitmächtigste Mann unter Pharao.

Der hebräische Ansatz wird im Film vor allem von Laienforschern befürwortet. Auch in diesem Teil schaffen es die Filmemacher nicht, die Ostlokalisierung mit harten Fakten zu untermauern. Einer der wenigen Wissenschaftler im Lager der Befürworter des hebräischen Ansatzes ist der schwedische Umweltmediziner Lennart Möller, der als solcher in seinem Labor am Karolinska-Institut in Stockholm zu sehen ist. Aber auch er trägt inhaltlich wenig zur Argumentation bei. In ähnlicher Weise liefert auch ein ehemaliger Taucher des verstorbenen Amateurarchäologen Ron Wyatt keine neuen Informationen. Denn Wyatt hatte behauptet, im Roten Meer ägyptische Streitwagenräder entdeckt zu haben. Der Taucher musste eingestehen, selber jedoch diese Wagenräder nie gesehen zu haben. Es ist schwer verständlich, warum Mahoney Wyatt so viel Aufmerksamkeit im Film gewährt. Denn viele seiner vermeintlichen Entdeckungen zur Bibel haben sich als Betrug herausgestellt. So haben sich bei näheren Untersuchungen Noahs Arche und Sodom und Gomorrha als einfache geologische Felsformationen erwiesen. Auch haben israelische Archäologen in Jerusalem die Bundeslade nicht gefunden, trotz Wyatts Behauptung, sie dort (unweit des Gartengrabs) in einer Felsspalte (am Fuße des „Gordon’s Calvary“) gesehen zu haben.[14]

 

Die folgenden Fragen verdienen im Licht der Phänomene, die das Meereswunder begleiteten, weitere Aufmerksamkeit:

a) Benutzt Gott Naturelemente, um zu seinem Ziel zu gelangen? Die Filmemacher bezweifeln, dass nur ein starker Ostwind den Meeresboden freigelegt hat, es sei denn, dies geschah durch ein direktes wundersames Eingreifen Jahwes. Aber warum sollte es hier einen Widerspruch geben? Die biblische Erzählung sagt uns, dass Gott einen starken Ostwind aufkommen ließ, der das Meer trockenlegte (Exodus 14:21). In ähnlicher Weise wurde wahrscheinlich Jericho durch ein Erdbeben zerstört, ein Phänomen, das im Jordangraben mehrfach bezeugt ist.[15] Unserer Meinung nach kommt es in beiden Fällen nicht auf die Art des Eingreifens an, sondern auf den Zeitfaktor: beide Ereignisse geschahen zur richtigen Zeit. Es mag aber auch sein, dass der Ostwind mehr leistete, als es ein normaler Wind erklären könnte und dass darin auch Gottes besonderes Wirken zum Ausdruck kommt.

b) Wie tief war das Schilfmeer? Dass das Wasser bei der Durchquerung des Jam Suph mauerhoch emporragte und die Israeliten vielfach überragte, wird im Narrativteil in Exodus nirgendwo gesagt. Der Gedanke, dass das Wasser sehr tief war, stammt nur aus dem poetischen Teil in Exodus 15 und dürfte somit eine literarische Stilfigur sein. Als Königspsalm verwendet Exodus 15 (V. 11, 18) kosmologische Beschreibungen, die das aktive Handeln Gottes als Krieger (V. 3 und 6) und seine Vormachtstellung über die ägyptischen Streitkräfte hervorheben.[16] Der starke Ostwind von Exodus 14 wird in Kapitel 15 zum „Schnauben seines Zornes“ (V. 8a), welches das Wasser zum Damm werden und „die Fluten im Herzen des Meeres“ erstarren ließ (V. 8b). In ähnlicher Weise beschreibt David in Psalm 18 seine Befreiung aus der Hand seiner Bedränger (V.1), und wie Gott dabei auf einer völlig anderen Ebene gegen geistliche Widersacher kämpft, die versuchten seinen Plan mit David zu durchkreuzen (V. 7ff.). Erneut verwendet der Autor die Metapher des tiefen Meeres (V. 16). Während solche Wogen in 1. und 2. Samuel bei David nie eine Rolle spielten, verwendet der Psalmist erneut Metaphern, die Gott als himmlischen Krieger preisen (V. 8–15), indem er David „aus gewaltigen Wassern“ befreit und somit seinem geistlichen Widersacher die Stirn bietet (V. 17). Auch sonst im altvorderasiatischen Bereich standen Bilder des bedrohlichen Meeres und dem Getöse der Meereswellen Pate für Chaosmächte.

c) Gibt es eine Parallelgeschichte zum Ereignis am Jam Suph? Tatsächlich gibt es eine biblische Parallele zur Geschichte der Wasserteilung. In Josua 3,16 ist die Rede von der Teilung des Jordans, wodurch die Israeliten trockenen Fußes ins gelobte Land einwandern können. Auch hier scheint das Wunder eine ähnliche Auswirkung auf die Kanaaniter gehabt zu haben. Es steht außer Frage, dass die Überquerung des Jordans in einem kleineren Rahmen als die des Jam Suph stattfand. Die Frage ist jedoch, wie viel kleiner? Es werden ähnliche Metaphern verwendet. Während sich am Jordan das Wasser „wie ein Damm erhob“, stellten sich die Wogen am Jam Suph ebenfalls „wie ein Damm“ auf (Exodus 15,8). Das Ereignis am Jordan wird sogar mit dem Ereignis am Schilfmeer verglichen: „Auf trockenem Boden hat Israel hier den Jordan überschritten. Denn der Herr, euer Gott, ließ das Wasser des Jordan vor euch austrocknen, bis ihr hinübergezogen wart, wie der Herr, euer Gott, mit dem Schilfmeer getan hat, das er vor uns austrocknen ließ, bis wir hindurchgezogen waren, damit alle Völker der Erde erkennen, dass die Hand des Herrn stark ist, damit sie den Herrn, euren Gott, allezeit fürchten.“ (Josua 4, 23–24).

 

Folglich müssen wir aufpassen, nichts in den biblischen Text hineinlesen zu wollen, was dort nicht steht. Alles, was wir sicher wissen, ist, dass sich das Ereignis am Jam Suph in der Nähe von Migdol, Baal-Zaphon und Pihahirot ereignete (Orte, die ziemlich sicher an der Nordostgrenze Ägyptens lagen), und dass die Israeliten damals trockenen Fußes entkamen, während die Armee des Pharaos ertrank, als der starke Ostwind nachließ und das Wasser zurückkam.

Anmerkungen:

[1] https://patternsofevidence.com.

[2] https://www.inner-cube.de. Pers. Mitteilung von Martin Severin (Juli 2020).

[3] https://wyattmuseum.com/#.

[4] Van der Veen in Zerbst & van der Veen 20183, Keine Posaunen vor Jericho? Beiträge zur Archäologie der Landnahme, Holzgerlingen, 174–188.

[5] Van der Veen, ebd., 181–182.

[6] Van der Veen, ebd., 180–181.

[7] P. van der Veen & U. Zerbst, Volk ohne Ahnen? Auf den Spuren der Erzväter und des frühen Israel, Holzgerlingen, 2013.

[8] Van der Veen, ebd., 184.

[9] Zerbst in Zerbst & van der Veen 20183, 101–145.

[10] S. Snape, The Complete Cities of Ancient Egypt, 2014, E-Book Position 272, 696–697.

[11] M. H. Geriesh et al., „Implications of climate change on the groundwater flow regime and geochemistry of the Nile Delta, Egypt“, Journal of Coastal Conservation 19:4 (2015), 589–608.

[12] Beispielsweise J. K. Hoffmeier, Ancient Israel in Sinai: The Evidence for the Authenticity of the Wilderness Tradition, Oxford, 2005; K. A. Kitchen, Das Alte Testament und der Vordere Orient: Zur historischen Zuverlässigkeit biblischer Geschichte, Giessen / Basel, 2008.

[13] B. J. Noonan, „Egyptian Loanwords as Evidence for the Authenticity of the Exodus and Wilderness Traditions“, in J. K. Hoffmeier, A. R. Millard, G. A. Rendsburg (Hgg.), „Did I Not Bring Israel Out of Egypt?“ Biblical, Archaeological, and Egyptological Perspectives on the Exodus Narratives, Bulletin for Biblical Research Supplement 13, Winona Lake, 2016, 49–67.

[14] Persönliche Kommunikation mit dem Ausgräber Yehiel Zellinger der Israelischen Antikenbehörde (2010).

[15] Zerbst & van der Veen 20183, z.B. 54–55.

[16] Z.B. Exodus 15, 1: „Ross und Reiter hat er ins Meer geschleudert“; V. 6 „Deine Rechte, HERR, zerschmettert den Feind“; V. 10 „Du hast mit deinem Atem geblasen, das Meer hat sie bedeckt, sie versanken im mächtigen Wasser wie Blei.“