Drei Linden Filmproduktion: „Die Genesis“
Von Naturwissenschaftlern bestätigtDrei Linden Filmproduktion, DVD, 100 Minuten.
Nachfolgend eine Rezension von Michael Kotulla:
„Ist die Genesis Geschichte?“ Beschreibt das erste Buch Mose geschichtliche Wahrheit? Diese Fragestellung ist der Originaltitel des 2017 erschienenen christlichen Dokumentarfilms „Is Genesis History?“, der nun von Drei Linden Filmproduktion als „Die Genesis – Von Naturwissenschaftlern bestätigt“ in deutscher Fassung (2019) herausgegeben wird.
Die Fragestellung ist nicht neu – sie wird aber auf interessante Weise und mit einem neuen Blick auf biblische, historische und wissenschaftliche Zeugnisse aufgegriffen und behandelt. Und sie ist brandaktuell: Denn für Christen ist der „Anfang der Welt“ ein sehr wichtiges religiöses Thema, wie zum Beispiel eine Umfrage der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ergab.1
Als eine Art Gastgeber tritt Del Tackett auf; er moderiert durch den Film2. Eine Einführung findet am Fuße des Mount St. Helens statt, einem Vulkan der Kaskaden-Kette Nordamerikas, der 1980 ausgebrochen war. Mit Blick auf die Geschichte der vulkanischen Landschaft leitet er über zu Grundfragen der Geschichte der Erde: Welche Annahmen sind bei Versuchen einer Rekonstruktion gemacht worden? Inwieweit beeinflussen uns diese Annahmen, wie wir Geschichte betrachten? Wie tragen sie dazu bei, wie wir Wissenschaft und die Bibel betrachten?
Auf seiner investigativen Entdeckungsreise interviewt er in der Folge rund ein Dutzend Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen, u. a. Hebraistik, Philosophie, Astronomie, Archäologie, Biologie, Geologie und Paläontologie. Die recht persönlich gehaltenen Gespräche finden an zahlreichen Orten mit eindrucksvollen Anschauungsobjekten statt: im Grand Canyon, in einem historischen Museum für Computer, am Mikroskop, bei nächtlichem Sternenhimmel, im Meeresmuseum, mit alttestamentlichen Schriften, in einem Zoo, bei einer Dinosaurier-Ausgrabung, in einem Naturkundemuseum oder im „Garten Eden“.
Die Fragen, die Tackett aufwirft, sind zielgerichtet. An den Hebraisten Steven Boyd lauten sie zum Beispiel: Wie ist der biblische Erzähltext des Genesis-Buches zu verstehen? Sind Adam und Eva historisch? Ist die Sintflut historisch und wenn ja, war sie global? Was bedeuten einzelne Worte wie „Toledot“, „Tag“ und die „Völkertafel“? Wie verhält es sich mit dem Stammbaum Jesu? Und Boyd macht eingangs u. a. deutlich, dass die Bibel als erstes ein akkurater historischer Bericht sei und dass die Autoren davon überzeugt gewesen seien, dass sie von tatsächlichen Ereignissen sprachen.
Den Paläontologen Marcus Ross befragt Tackett zu Fossilien, ob einige Fossilien eine gewalttätige Welt erkennen lassen, was Fossilvergesellschaftungen bedeuten können, ob Fossilien von einer Makro-Evolution zeugen oder wie die Fossilüberlieferung als Ganzes zu verstehen sei. Und mit dem Biologen Todd Wood diskutiert er u. a., wie die heutige Diversität des Lebens verstanden und erklärt wird und was – in diesem Zusammenhang – die biblische Wendung „nach seiner Art“ (Gen 1) möglicherweise bedeutet.
Im Laufe des Films wird aufgezeigt, dass es zwei herrschende Sichtweisen (Paradigmen) von der Geschichte des Lebens und des Universums gibt, die zueinander in Konkurrenz stehen. Der befragte Philosoph Paul Nelson beschreibt sie so: Einerseits „das ‚konventionelle Paradigma‘; es ist charakterisiert durch lange Zeit, 13,7 Milliarden Jahre, die einhergehen mit diesem graduellen Prozess, der mit einer ursprünglichen Einfachheit beginnt und damit endet, was wir heute sehen. Die ganze Komplexität des Lebens muss – von unten nach oben – durch strikte naturgesetzliche Prozesse aufgebaut werden, bei denen kein Verstand, kein Schöpfer, kein Design vorhanden ist.“ Andererseits das „historische Genesis-Paradigma“: „Alles beginnt mit einem göttlichen Geist, einem Schöpfer, einer Intelligenz; der Schöpfer plant und überwacht und ruft die Realität ins Dasein. Ereignisse finden auf einer mehr heutzeitlichen Zeitskala statt. Das Universum, das Sonnensystem, unser Planet und das Leben selbst – all das beginnt, vollkommen ausgebildet, als funktionierendes System.“ Diese beiden Sichtweisen werden von den Gesprächspartnern auch mit „naturalistisch“ und „biblisch“ bezeichnet.
Die dargestellte Konkurrenzsituation in der Ursprungsfrage ist aber keine einseitige oder fiktive, sie beruht – so sei hier ergänzt – auf einer beidseitigen Wahrnehmung. So heißt es in einer Strategieschrift einer Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft3, dass die Naturwissenschaften wieder vermehrt „in direkter Konkurrenz zu einer fundamentalen Schöpfungslehre“ stehen.4 Mit „fundamental“, das in diesem Zusammenhang negativ konnotiert ist, ist wohl die wörtliche Lesart des Schöpfungsberichtes gemeint und das Fürwahrhalten des Genesis-Buches als Geschichte – nur dann entsteht ja eine Konkurrenzsituation.
Und genau mit diesem Geschichtsverständnis (s. oben Boyd), mit dieser Sichtweise (Paradigma) – „im Lichte der Genesis“ –, betrachten und erforschen die im Film präsentierten Wissenschaftler die „Welt um uns herum“. Dabei wird die Suche nach Babel (Gen 11), dem Ort des Turmbaus und der „Sprachverwirrung“, nur kurz in einem Abschnitt erhellt (Doug Petrovitch, Archäologe). Dagegen nimmt die Deutung und Erklärung insbesondere der fossilführenden Sedimentgesteine einen größeren Raum ein. Ihre Entstehung wird hauptsächlich der Sintflut (Gen 6-9) zugeschrieben, die als ein globaler Komplex von Katastrophen verstanden wird (u. a. Steven Austin, Geologe). Und diese Deutung im Rahmen eines kurzen weltumspannenden, katastrophischen Geschehens steht – so sei hier zusätzlich ergänzt – ebenfalls in Konkurrenz zu einer konventionellen Sichtweise: Denn die Geologie „geht davon aus, dass das heutige Erscheinungsbild der Erde das Ergebnis einer langen und wechselvollen Entwicklung ist (…)“5.
So ist neben der Frage, ob das Buch Genesis Geschichte schreibt, der Vergleich der herrschenden Sichtweisen von Geschichte der zweite Handlungsstrang im Film. Beide Stränge werden im Laufe des Films immer wieder aufgegriffen und bei der Behandlung weiterer Themenbereiche diskutiert; u. a. die Messung von Zeit (Andrew Snelling, Geologe), geschichtliche Epochen im Lichte der Genesis (Kurt Wise, Paläontologe), die Entstehung von Dinosaurier-Knochenlager (Art Chadwick, Paläontologe), Weichteilgewebe in Dinosaurierknochen (Kevin Anderson, Mikrobiologe), genetischer Code und Design (Robert Carter, Meeresbiologe), Genesis und unsere Kultur (George Grant, Pastor). Mitunter werden auch Antworten zu Fragen von göttlicher Absicht gegeben, so z. B. zum Zweck der Sterne (Danny Faulkner, Astronom).
Die Fülle der Hinweise fügt der Gastgeber und Moderator Del Tackett schließlich zu einem großen Ganzen zusammen; er folgert: „Wenn wir alles zusammen betrachten, dann ist die Welt im Lichte der Genesis am sinnvollsten erklärt.“ Und weiter: „Genesis ist Geschichte, wahre Geschichte.“
Neben dieser Schlussfolgerung – sozusagen „pro Genesis“ – lässt der Film aber viel Raum für eigene Gedanken und Reflektionen. Die präsentierten Informationen können Anstoß und Einstieg sein, das „biblische Paradigma“ kennen zu lernen, eigene Positionen oder die anderer zu hinterfragen oder Interesse zu wecken, sich vertiefend mit der Geschichte im Genesis-Buch und den verschiedenen Themenbereichen zu beschäftigen. Nicht jeder dargestellte Sachverhalt, nicht jede Interpretation wird unmittelbar nachvollzogen werden können. Die interviewten Wissenschaftler sind bemüht, Daten und Interpretation zu trennen; allerdings können sie – aufgrund der Kürze der Zeit – die komplexen Themen nur bedingt entfalten. Dabei wirkt leider so manch präsentierte Vorstellung oder Interpretation oder auch so manch vorgebrachtes Argument etwas abrupt, zu kurz oder auch dahingestellt.
Der Film ist zweifelsohne zielgerichtet (intentional); in der Cover-Beschreibung des Originals heißt es: „Lerne von mehr als ein Dutzend Wissenschaftlern und Gelehrten, wie sie die Welt um uns herum im Lichte der Genesis erforschen.“ Ein Ziel des Films ist zwar ein Vergleich der zwei konkurrierenden Sichtweisen, aber Vertreter des „naturalistischen Paradigmas“ kommen nicht zu Wort. Vielmehr geht es darum das „biblische Paradigma“ als Rahmen zu entfalten und entsprechende Ableitungen, Deutungen und Erklärungen zu vermitteln. Für die deutsche Fassung wäre ein Begleitheftchen mit einer Rahmenbeschreibung wünschenswert (gewesen).
Hinsichtlich einiger der präsentierten Deutungen gibt es auch andere Vorstellungen und Ausprägungen; dieser Aspekt wird im Film nicht weiter berücksichtigt. So geht z. B. Stephan (2015) in Sintflut und Geologie von einer erhöhten geologischen Aktivität vor und nach der Sintflut aus.
Der Film „Die Genesis – Von Naturwissenschaftlern bestätigt“ ist eine empfehlenswerte Einladung an alle, die sich mit der Fragestellung „Is Genesis History?“ und den konkurrierenden Sichtweisen von Geschichte bisher nicht oder nicht intensiv beschäftigt haben, eine kompakte oder auch aktuelle Zusammenschau suchen oder ihre eigene Position überprüfen oder hinterfragen wollen. Er eignet sich auch als Grundlage (einzelne Kapitel oder als Ganzes) für thematische Diskussionen in christlichen Gruppen.
Anmerkung
1 Das zweitwichtigste religiöse Thema – nach „Tod“ – überhaupt. Siehe „Engagement und Indifferenz. Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis.“ V. EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, 2014. Grafik 1, S. 24.
2 Der Film besteht technisch aus 15 Kapiteln.
3 Siehe „Dynamische Erde – Zukunftsaufgaben der Geowissenschaften“, Senatskommission für Geowissenschaftliche Gemeinschaftsforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, herausgegeben von G. Wefer, 2010, S. 118.
4 Allerdings sind es nicht die Naturwissenschaften insgesamt, sondern spezifische Teilbereiche und bestimmte Deutungen ihrer Ergebnisse.
5 Siehe F. Lotze, Geologie, 1968, S. 7.