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C. Austermann: „Die Evolutionstheorie im Spannungsfeld zwischen modernen Naturwissenschaften und religiösen Weltanschauungen.“

„Maligne Methoden der Demagogie“?
Marburg: Tectum, 2008

Nachfolgend eine Rezension von Reinhard Junker:

Auf der Homepage der AG Evolutionsbiologie1 wird dieses Buch als „exzellente Monographie“ angepriesen. Unterstrichen wird dieses Lob noch dadurch, dass der herausgebende Verlag als „renommierter Wissenschaftsverlag“ eingestuft wird2. Das Buch gebe wertvolle Anregungen für den Oberstufenunterricht im Fach Biologie zum Thema Evolution. Besonders interessant seien die Analysen der Strategien und des Wissenschaftsanspruchs von Intelligent Design. Der Autor stelle „mit ruhig-sachlichem Stil sowohl die malignen Methoden der Demagogie und Verdrehungen religiöser Sektierer“ kompetent und präzise dar, ebenso „die Versuche gemäßigterer Evolutionsgegner wie ‚Wort und Wissen’, der Evolutionstheorie eine wissenschaftliche Alternative entgegen zu setzen.“ Das Buch zeige Wege auf, „wie Schülerinnen und Schüler in der Diskussion um die Evolutionstheorie urteilsfähig werden und woran sie rhetorische Stilmittel erkennen, die nur den Anschein eines Arguments erwecken.“

Neugierig geworden wollte ich mich über diese bösartigen (malignen) Methoden informieren, die der Autor aufdeckt. Dabei machte ich interessante Entdeckungen, von denen einige aus dem 5. Kapitel „Kreationismus und Intelligent Design“ kurz geschildert werden sollen.

Austermann behauptet mehrfach, Wort und Wissen stelle den aktuellen Forschungsstand oft „verzerrt“ dar (S., 71, 85 [2x], 87) oder verschweige und unterschlage Befunde und Argumente. Diese Behauptung wird aber bis auf eine Ausnahme nicht begründet3. Genauso geht der Autor vor, wenn er die Vorgehensweise von „ID“ (Intelligent Design) charakterisiert: Es würden „gezielt Mittel eingesetzt, um zu polarisieren, emotionalisieren und diffamieren“ (S. 75) – auch diese Behauptung wird durch kein einziges Beispiel begründet. Sachlich äußerst verkürzt und dadurch irreführend ist die Darstellung der ID-Position: „Wenn die evolutionsbiologische Erklärung falsch ist, spricht das eindeutig für Design“ (S. 75). So behauptet das nach meiner Kenntnis kein Anhänger von ID.

Auf S. 73 wird behauptet, W+W diffamiere die Evolutionstheorie als „naturalistisch-atheistische Evolutionslehre“, und zwar unter Berufung auf einen Pressetext auf der W+W-Homepage4. In diesem Text werden aber u. a. verschiedene Varianten von Evolutionsanschauungen unterschieden, vor allem auch die Vorstellung einer „theistischen Evolution“.

Der Autor unterstellt dem kritischen Lehrbuch von Junker & Scherer, es würde dort behauptet, die Evolutionsbiologie könne keine exakten Daten liefern, wenn sie sich mit historischen Ereignissen befasst (S. 76). Das ist falsch. Es geht um die Deutung von Daten, nicht um deren Exaktheit. Weiter behauptet der Autor, in „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ würden historische Rekonstruktionen als „reine Spekulation“ hingestellt. Auch dafür nennt er keinen Beleg, er würde auch keinen finden.

Weiter wird behauptet, die Beschreibungsebene (Belege für den Ablauf der Evolution) und die Erklärungsebene würden „gezielt“ vermischt (S. 78, 82ff.). Das ist so falsch wie etwas nur falsch sein kann. Denn dass es sich dabei um verschiedene Ebenen handelt, wird schon durch den groben Aufbau des kritischen Lehrbuches hervorgehoben: Kausale Evolutionsforschung – historische Evolutionsforschung. Austermann geht dann noch weiter: Dadurch solle der Eindruck vermittelt werden, dass die gesamte erweiterte synthetische Evolutionstheorie widerlegt werden könne, wenn für ein bestimmtes Fallbeispiel noch kein Entstehungsmechanismus gefunden wurde. Eine solche Behauptung über das kritische Lehrbuch ist jedoch eine reine Erfindung.

Die Vermischung der beiden Ebenen (Beschreibung / Erklärung) betreibt dagegen Austermann selber, wenn er behauptet, Makroevolution würde so dargestellt, als sei sie völlig spekulativ und empirisch nicht zu belegen (Beschreibungsebene), und als Beleg dafür ein Zitat bringt, in welchen es um die Mechanismen (Erklärungsebene) geht (S. 80f.). Dass viele Befunde durch Makroevolution deutbar sind (wenn auch nicht zwingend), wird im kritischen Lehrbuch ausdrücklich gesagt.

Austermann schreibt im selben Zusammenhang weiter: „Die zahlreichen Belege für Makroevolution, wie sie in unzähligen evolutionsbiologischen Publikationen dokumentiert sind, werden vollkommen unterschlagen …“ (S. 81). In Wirklichkeit befassen sich die Kapitel V.10 bis VII.15 ausführlich mit solchen Belegen; sie werden freilich kritisch diskutiert.

Auf derselben Seite wird behauptet, die Unterscheidung von Mikro- und Makroevolution werde auf den Ansatz der Grundtypen aufgebaut. Das ist falsch. Die Definitionen dieser Begriffe werden im kritischen Lehrbuch in Abschnitt II.4.3 völlig unabhängig von der Grundtypenbiologie vorgenommen. Dass der Autor dann noch die Unterscheidung von Mikro- und Makroevolution, wie sie im kritischen Lehrbuch durchgeführt wird, als „gezielten Täuschungsversuch“ bezeichnet, stellt die Tatsachen auf den Kopf. Tatsächlich werden im Lehrbuch verschiedene Definitionen dieser beiden wichtigen Begriffe vorgestellt und diskutiert. Und nebenbei gibt es auch Evolutionstheoretiker, die diese beiden Begriffe sachlich ähnlich fassen wie die Autoren des kritischen Lehrbuchs.

Diese Beispiele, die weiter fortgesetzt werden könnten, mögen als Belege dafür genügen, dass der Autor nicht seriös arbeitet. Es ist kein Bemühen erkennbar, die Position des Andersdenkenden korrekt und ausgewogen darzustellen. Eine sachliche Auseinandersetzung ist unter diesen Umständen nur schwer oder gar nicht möglich. Die Diskussion des Autors ist – jedenfalls in Kapitel 5 – eine Scheindiskussion mit einem imaginären Gegner. Lehrern und Schülern sei empfohlen, die von Austermann kritisierten Publikationen im Original zu studieren und mit Austermanns Ausführungen zu vergleichen. Dies könnte in der Tat dazu beitragen, „urteilsfähig“ zu werden und „rhetorische Stilmittel“ zu erkennen, „die nur den Anschein eines Arguments erwecken.“

Anmerkung

  1. www.evolutionsbiologen.de, Newsticker 30. 3. 2009
  2. In diesem Verlag ist auch das Buch „Nur eine Illusion? Biologie und Design“ von Markus Rammerstorfer erschienen, in dem der Autor für den ID-Ansatz argumentiert; vgl. die Rezension Nur eine Illusion? Biologie und Design.
  3. Die Ausnahme ist das Thema „Leserasterverschiebungen“; vgl. hierzu http://www.evolutionsbiologen.de/leseproben/leseraster.html (Seite nicht mehr verfügbar, Stand: 31.10.2019), http://evolution-schoepfung.blogspot.com (Seite nicht mehr verfügbar, Stand: 31.10.2019) und Hypothesen zur Evolution von Bakteriophagen-Holinen.
  4. Kurzcharakterisierung wichtiger Ursprungslehren; dort werden laut Überschrift „Ursprungslehren“ kurz charakterisiert. Schon wenn Austermann das beachtet hätte, hätte er die geschilderte Unterstellung vermeiden können.