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Eine kurze Stellungnahme zur sogenannten Flache-Erde-Bewegung („flat earth“)



In letzter Zeit werden wir vermehrt danach gefragt, was von neueren Untersuchungen zu halten sei, die belegen sollen, dass die Erde eine Scheibe sei. Nach vielen Jahren Funkstille zu diesem Thema schießen nun in Zeiten von Social Media plötzlich die Anfragen dazu wie Pilze aus dem Boden (s. Anhang 1).

Die Auffassung von der Erde als Scheibe („flat earth“) findet sich neuerdings vermehrt im Internet. Sie kann nur im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien vertreten werden, denn man muss – sollte diese Auffassung zutreffen – eine gigantische weltweite Verschwörung annehmen, durch die dafür gesorgt wird, dass die (vermeintlich falsche) Vorstellung von der Erde als einer (ungefähren) Kugel im Raum propagiert wird. Diese Verschwörung muss viele Jahrhunderte überdauert haben, ebenso die verschiedensten politischen Systeme. Dazu müsste ein gigantischer Aufwand betrieben worden sein.

Das Problem mit Verschwörungstheorien ist allerdings, dass man sie kaum definitiv widerlegen kann. Das liegt daran, dass man Verschwörungstheorien durch eine Unzahl von komplizierten Annahmen und Mutmaßungen „retten“ kann. Im Falle der flachen Erde muss man Zusatzhypothesen entwickeln, nur um z. B. der Tatsache zu begegnen, dass man in ein Flugzeug steigen und damit die Erde umrunden kann. Die ganze Raumfahrt müsste natürlich durch einen immensen Aufwand vorgetäuscht worden sein (die Amerikaner, Russen, Westeuropäer, Chinesen und heutzutage viele weitere Nationen mussten dazu jahrzehntelang kooperiert haben und dies weiterhin tun). Und so kann man nahezu beliebig viele weitere Beispiele anführen, wie tief diese Verschwörung weltweit verwurzelt ist. Es stellt sich herbei natürlich die Frage: Welches Ziel würde eine solche Weltverschwörung verfolgen, wer würde davon profitieren und was könnte diesen enormen Aufwand rechtfertigen?

Dass man z. B. vom Feldberg im Schwarzwald die Gipfel des Berner Oberlands nicht so hoch sieht, wie es bei einer flachen Erde sein müsste, wird sicher niemanden verunsichern, der eine Flache-Erde-Sicht vertritt. Auch das und vieles andere lässt sich sicher stets durch Zusatzannahmen ins System einfügen. Daher soll mit diesem Diskussionsbeitrag auch nicht versucht werden, Flache-Erde-Vertreter mithilfe physikalischer Argumente zu überzeugen. Stattdessen soll an dieser Stelle klargestellt werden, wie die Studiengemeinschaft Wort und Wissen dazu steht. Dabei soll exemplarisch angesprochen werden, welche gesellschaftlichen, historischen und theologischen Hintergründe zu beachten sind (Anhange 1–4).

Es kommt hinzu, dass die Sichtweise auf die Erde als Kugel gar kein modernes Phänomen ist: Bereits in der Antike und im Mittelalter, wie auch in der Kirchengeschichte war die überwältigende Mehrheit gebildeter Leute davon überzeugt, dass die Erde eine Kugel ist – und das völlig ohne moderne Technik (s. Anhang 2). Tatsächlich ist die verbreitete Meinung, dass man im Mittelalter von einer flachen Erde ausging, ein Mythos, der durch die antichristliche Stimmung in der Aufklärung entstand, in deren Zuge man das christliche Mittelalter als rückständig erscheinen lassen wollte. Erst vor wenigen Jahrzehnten (Mitte des 20. Jahrhunderts) setzte sich dieser Mythos durch und wird bis heute vor allem durch Schul-Geschichtslehrbücher verbreitet (s. Anhang 3).

Kurzum: Eine einfache Erklärung (die Erde ist eine ungefähre Kugel) wird durch ein überaus kompliziertes System ersetzt, das umso komplizierter wird, je mehr man nachfragt.

Es stellt sich hier die bereits aufgeworfene Frage nach dem Motiv: Warum soll es diese Verschwörung überhaupt geben? Warum sollte denn ein solcher Aufwand betrieben werden, den Menschen eine Erdkugel vorzugaukeln?

Einige Flache-Erde-Vertreter argumentieren, die Bibel lehre, dass die Erde eine Scheibe sei. Hier wird verkannt, dass in der Bibel eine Alltagssprache verwendet wird: Es werden Phänomene beschrieben, wie die Menschen sie sehen – nicht aus astrophysikalischer, moderner Perspektive. Z. B. sagen die Bibelautoren (1Mo 19,23 u. a.) und auch wir heute umgangssprachlich: „Die Sonne geht auf“, auch wenn wir keine bekennenden Flache- Erde-Vertreter sind. Wir sprechen auch heute vom „Aufgang der Sonne“ oder von der „Sonnenfinsternis“ (bei der die Sonne ja nicht wirklich aufhört, zu strahlen, sondern lediglich von dem vorbeiziehenden Mond für uns auf der Erde abgeschirmt wird). Genauso ist es auch in der Bibel, wenn der Prediger seine Beobachtungen in der Natur in Prediger 1,4-8 beschreibt: „Und die Sonne geht auf, und die Sonne geht unter; und sie eilt ihrem Ort zu, wo sie aufgeht(Pred 1,5).

Ebenso wenig sollte man aus bildhafter Sprache poetischer Bibeltexte (wie in den Psalmen) etwas Weltbildhaftes ableiten (s. Anhang 4).

Dient die Auseinandersetzung wirklich der Wahrheitsfindung oder gibt sie einen unnötigen Anlass für Auseinandersetzungen über längst geklärte Fragen?

Für die Arbeit der Studiengemeinschaft Wort und Wissen gilt: Es fehlt für unsere spezifische Arbeit und unseren spezifischen Auftrag als SG Wort und Wissen jegliches Motiv, sich dieser Frage zu widmen. Denn anders als in der Schöpfungsfrage, in der es um das konkrete reale Handeln Gottes in der Geschichte der Welt und der Menschheit geht, hängen weder heilsgeschichtliche Aspekte mit diesem Thema zusammen noch die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Bibel.

Wort und Wissen konzentriert sich auf Wissenschaftsbereiche (wie z. B. die Ursprungsfrage), die in der Öffentlichkeit genutzt werden, die Existenz Gottes und die Glaubwürdigkeit seines Wortes zu bestreiten. An genau diesen Punkten wollen wir ernsthaft fragenden und zweifelnden Menschen helfen und Denkdiakonie betreiben, wie es unser Gründungsvorsitzender Prof. Theodor Ellinger treffend ausgedrückt hat.

 

Für die SG Wort und Wissen: Reinhard Junker & Benjamin Scholl

 

Gliederung

Eine kurze Stellungnahme zur sogenannten Flache-Erde-Bewegung („flat earth“)
Anhang 1: Wie einflussreich ist die Flache-Erde-Bewegung?
Anhang 2: Der Mythos „der flachen Erde im Mittelalter“
Anhang 3: Woher kommt die heutige Ansicht, die Menschen
hätten im Mittelalter an eine flache Erde geglaubt?
Anhang 4: Einseitige Bibelauslegungen in Teilen der Flache-Erde-Bewegung

 

Weiterführende Literaturhinweise

Bernhard R (2014) Dekonstruktion des Mythos der flachen Erde – Information, Quellen und Materialien zur Entschlüsselung der Erzählung über die „Flache Erde des Mittelalters“ in Schulbüchern. In: Historische Sozialkunde 2/2014, 42–51, https://www.researchgate.net/publication/326368298.

Faulkner D (2019) Falling Flat: A Refutation of Flat Earth Claims. Taschenbuch. Kindle-Edition. MASTER BOOKS INC. ISBN: 978-1683442066.

Cincinnati NG (2006) Ein Mythos des „Wissenschaftszeitalters“: Das Weltbild von der Erdscheibe im Mittelalter. Stud. Integr. J. 13, 31–33, https://www.si-journal.de/index2.php?artikel=jg13/heft1/sij131-4.html.

Hilbrands W (2002) Ein veraltetes Weltbild im biblischen Schöpfungsbericht? Raqia im Alten Testament. W+W-Disk.-Beitr. 1/01, https://www.wort-und-wissen.de/disk/d01/1/d01-1.pdf.

Faulkner D: Keine flache Erde! Ein paar einfache Argumente in Deutsch | Dr. Danny FAULKNER, https://www.youtube.com/watch?v=8XikxUFDmEE.

Faulkner D: Does The Bible Describe the Earth as Flat?, https://www.youtube.com/watch?v=289cGJ7hOkM.