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Der Fall des Richard Sternberg



In my country [China] you can question Darwin, but you can’t question the government.

In this country [USA] you can question the government, but you can’t question Darwin.

J. Y. CHEN, zitiert von Stephen C. MEYER in
Talk of the Times: Intelligent Design vs. Evolution

Zusammenfassung:

„Intelligent Design“ (ID) ist ein Ansatz einiger Wissenschaftler, die Entstehung der organismischen Komplexität durch Bezugnahme auf eine intelligente Ursache zu erklären. Kritiker dieses Ansatzes lehnten wiederholt eine Betrachtung auf wissenschaftlicher Ebene ab mit der Begründung, ID-Befürworter würden ihre Argumente nicht in angesehenen wissenschaftlichen Fachzeitschriften publizieren. Im Jahr 2004 wurde jedoch in einem referierten Wissenschaftsjournal ein Artikel von Stephen C. Meyer veröffentlicht, welcher für den ID-Ansatz argumentierte. Der verantwortliche Redakteur des Journals, Richard Sternberg, sah sich daraufhin mit heftigen Reaktionen aus dem Lager der ID-Kritiker konfrontiert. Diese gingen so weit, dass sogar Sternbergs Entlassung an seinen Arbeitsplätzen, der National Institutes of Health (NIH) und dem National Museum of Natural History (NMNH) gefordert wurden. Im Folgenden sollen die Geschehnisse nachgezeichnet werden, die sich durch die Veröffentlichung des Meyer-Artikels ereigneten.

Inhalt


Einführung

Richard von Sternbergs Lebenslauf liest sich zunächst wie ein Musterbeispiel einer gelungenen Karriere als Wissenschaftler1: Zwei Doktortitel aus dem Bereich der Evolutionsbiologie, wovon einer den Distinguished Dissertation Award gewinnen konnte, schmücken seinen Lebenslauf. Er ist als Redner zu zahlreichen Kongressen eingeladen worden, besitzt Lehrerfahrungen an diversen Universitäten und Colleges und ausgeprägte Erfahrungen als aktiver Forscher. Er publizierte über 30 Artikel in referierten („peer-reviewed“, s. u.) Wissenschaftszeitschriften.

Im Dezember 2001 nahm er die Einladung der Biological Society of Washington (BSW) an, die unbezahlte Arbeit des leitenden Redakteurs bei dem von der BSW herausgegebenen Journal Proceedings of the Biological Society of Washington (im Folgenden „Proceedings“) zu übernehmen.

Zu dieser Zeit lief Sternbergs Zeit als Post-Doktorand am National Museum of Natural History (NMNH) aus und er begann in seiner neuen Anstellung bei der GenBank der Behörde National Institutes of Health (NIH) zu arbeiten.

Dabei war vereinbart worden, dass er 50% seiner Arbeitszeit als Kurator der NCBI-DNA-Datenbank des NIH verwenden und die restlichen 50% als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Forschung am NMNH, welches zur Smithsonian Institution (SI) gehört, investieren würde.

Während der Zeit als leitender Redakteur vom Dezember 2001 bis zum August 2004 war er verantwortlich für 11 Ausgaben der Proceedings. In dieser Zeit bearbeitete er mehr als 200 Artikel und war für die Veröffentlichung einer umfangreicheren Monographie zuständig.

Im Oktober 2003 wollte er seine Tätigkeit als verantwortlicher Redakteur beenden, um mehr Zeit für eigene Forschung und eigene Veröffentlichungen zu haben. Da jedoch zu dieser Zeit kein Ersatz zu finden war, willigte Sternberg ein, seine Position weiter wahrzunehmen, bis das Gremium einen geeigneten Nachfolger gefunden hätte. Im Mai 2004 war es soweit und schließlich löste Dr. Richard Banks im September 2004 Sternberg ab.

Der tiefe Fall

Doch mittlerweile war der bis dahin so stetige Aufstieg auf Sternbergs Karriereleiter stark ins Stocken gekommen. Mehr noch – er befand sich sozusagen im freien Fall: Zu diesem Zeitpunkt stand Sternberg kurz davor, seinen Forschungsplatz im NMNH zu verlieren, seine neuen Arbeitgeber, die NIH wurden aufgefordert, ihn zu entlassen. Sternberg selbst stand unter ständiger Beobachtung, und hohe Vertreter akademischer Kreise forderten seine Entfernung von der SI, er erhielt keinen Zutritt mehr zu seinem Büro und es kursierten allerlei Gerüchte bezüglich seiner Person, die dazu führten, dass ehemalige Kollegen einen Bogen um ihn machten und erst recht die Zusammenarbeit mit ihm verweigerten. Sternberg war am Tiefpunkt seiner Karriere angelangt – in akademischen Kreisen gemieden; man könnte aus den zur Verfügung stehenden Quellen fast den Eindruck gewinnen, als ob er als Verräter betrachtet wurde.

Was war geschehen?

Vorgeschichte

Zum Verständnis dieser erstaunlichen Wendung sind einige Vorinformationen notwendig.

Peer-review
Seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts werden neue Erkenntnisse und Beobachtungen in den biologischen Wissenschaften praktisch nur noch in referierten Fachzeitschriften (die ein sog. „peer-review“ durchlaufen haben) in englischer Sprache veröffentlicht. Der peer-review-Prozess soll die wissenschaftliche Korrektheit und Qualität eines eingereichten Artikels sichern.
Dieser Vorgang war bei den Proceedings so gestaltet, dass an den leitenden Redakteur eingereichte Artikel von diesem an einen Mitherausgeber seiner Wahl gesendet wurden, welcher entsprechende Qualifikationen in dem jeweiligen Fachbereich aufzuweisen hatte. Dieser Mitarbeiter hatte sich dann um Begutachtungen (peer-reviews) zu kümmern und war für das Redigieren des Artikels zuständig. Die letzte Durchsicht und letzten Änderungen des Textes vor Drucklegung standen wiederum dem leitenden Redakteur zu. Das Gremium der BSW hatte außerdem festgelegt, dass dieser leitende Redakteur volle Freiheit bezüglich aller Aspekte des Begutachtungsprozesses der Proceedings hätte und die Mitherausgeber nach eigenem Gutdünken auswählen und beaufsichtigen durfte. Diese Vorgehensweise wird bis heute nach wie vor bei der Herausgabe der Proceedings praktiziert.

„Intelligent Design“ (ID) und peer-review
ID vertritt den Standpunkt, dass manche Aspekte des Universums am besten durch eine intelligente Ursache erklärt werden und nicht durch ungelenkte Prozesse, wie es heute in der Wissenschaft allgemeiner Konsens ist.2
Von ID-Kritikern wurde in der Vergangenheit oft gefordert, sie sollten doch ihre Position untermauernde wissenschaftliche Artikel in referierten Zeitschriften veröffentlichen, um die Wissenschaftlichkeit des eigenen Ansatzes und damit dessen Diskussionswürdigkeit nachzuweisen.

Der Artikel von Stephen C. Meyer
Es waren zwar durchaus schon viele Artikel in Wissenschaftsjournalen veröffentlicht worden, welche indirekt für eine intelligente Ursache des Lebens argumentiert hatten, indem die bis dahin bekannten naturalistischen Ansätze als unzulänglich für die Erklärung der gesamten Spannbreite organismischer Komplexität eingestuft wurden – die explizite Bezugnahme auf ID und die offene Nennung der Option „Intelligenz“ war bis dato jedoch in einem referierten, unabhängigen, Wissenschaftsjournal nicht erfolgt.3
Stephen C. Meyer, Direktor des Center for Science and Culture (CSC) im Discovery Institute (DI) in Seattle, erwarb seinen Doktortitel durch eine Arbeit in „Geschichte und Philosophie der Wissenschaft“ in Cambridge. Er studierte außerdem Geologie und Physik.
Anfang des Jahres 2004 reichte Meyer den Artikel „The Origin of Biological Information and the Higher Taxonomic Categories“ bei den Proceedings ein, der die Problematik der Entstehung neuer biologischer Information anhand der „Kambrischen Explosion“4 erläuterte, bei der in einem sehr kurzen geologischen Zeitraum die meisten der auch heute noch vorkommenden Grundbaupläne der Tiere, und somit auch große Mengen an biologischer Information, entstanden. Meyer unterzog die für dieses Ereignis in Frage kommenden naturalistischen Erklärungen einer kritischen Analyse und begründete anhand aktueller Primärliteratur seine Meinung, dass diese nicht die notwendigen Voraussetzungen erfüllten, um die Kambrische Explosion hinreichend zu erklären. Dann brachte Meyer ID als sich anbietende Alternative ins Spiel und kam zu dem Schluss, dass dieser Ansatz die beste Erklärung für die Kambrische Explosion bieten würde.

Der Publikations-Prozess des Meyer-Artikels

Dieser Artikel war die Ursache der oben erwähnten massiven Probleme von Richard Sternberg.

Betrachten wir den Gang des Artikels vom Zeitpunkt seiner Einreichung zu Anfang des Jahres 2004 an: Der Meyer-Artikel folgte dem oben beschriebenen Standard-Prozess, wie er für das Proceedings üblich ist. Da Systematik und Evolutionstheorie zum Hauptfeld des Interesses und der Fachkenntnis von Sternberg gehörten und es keinen entsprechend qualifizierten anderen Mitherausgeber gab, übernahm er als leitender Redakteur die direkte Verantwortung für die anstehenden Schritte. Es war nicht das erste Mal, dass Sternberg so entschied und einen Artikel selbst bearbeitete, und dieses Vorgehen war bislang stets als gewöhnliche Angelegenheit betrachtet worden und aufgrund des Beschlusses des Herausgebergremiums (s. o.) auch rechtlich abgesichert. Darüber hinaus ist das auch bei anderen wissenschaftlichen Zeitschriften ein durchaus übliches Verfahren.

Sternberg, der die kontroverse Natur des Artikels erkannte, entschied sich jedoch, darüber hinaus einen Kollegen zu befragen, was dieser von einer Veröffentlichung hielte. Bei diesem Kollegen handelte es sich um einen Wissenschaftler des NMNH, der Mitglied des Herausgebergremiums war und dessen Urteil Sternberg hoch einschätzte. Sternberg und sein Kollege besprachen den Artikel bei mindestens drei Treffen, in denen der Kollege Sternberg zu einer Veröffentlichung ermutigte.

Sternberg versandte den Artikel danach an vier Experten, wovon sich drei, die allesamt Fachleute in relevanten Bereichen der Evolutions- und Molekularbiologie waren und vollzeitlich bei bedeutenden Forschungsinstituten angestellt waren, dazu bereit erklärten, den Artikel kritisch zu begutachten.

Die drei Experten und Sternberg selber mit ihren insgesamt fünf Doktortiteln beurteilten den Artikel einstimmig als einer Veröffentlichung wert, nachdem sie Meyer über ihre Einwände in einigen Punkten informiert hatten und dieser daraufhin noch einmal signifikante Änderungen an seiner Arbeit vorgenommen hatte.

Anschuldigungen, Folgen, Richtigstellung

Die Veröffentlichung dieses ID-befürwortenden Artikels löste eine Welle der Entrüstung aus. Sie richtete sich jedoch nicht gegen Meyer als Autor, sondern gegen Sternberg, den verantwortlichen Redakteur. Viele Protestschreiben und zahlreiche Telefonanrufe empörter ID-Kritiker erreichten das NMNH und Sternbergs Vorgesetzte vom NIH. Dabei wurde sogar die Entlassung Sternbergs aus seinen Beschäftigungen sowohl beim NMNH als auch beim NIH gefordert. Kritisiert wurde jedoch nicht sein wissenschaftliches Urteil, sondern seine Entscheidung, den Artikel publiziert zu haben, obwohl die umstrittene darin vertretene Position gesellschaftspolitisch kontrovers diskutiert und von der Wissenschaftsgemeinde abgelehnt wurde. Sternberg selbst besteht darauf, ausschließlich in seiner Eigenschaft als Wissenschaftler Fachbeiträge zu editieren und zu beurteilen, und nicht – wie es ein Politiker täte – die über die Wissenschaft hinausgehenden Aspekte der Kontroverse zu beachten. Er habe den Artikel angenommen, auch wenn er ihm in vielen Aussagen nicht zustimmte, da er ein Thema behandelte, welches für die Systematik von fundamentaler Bedeutung sei.

Die Tatsache, dass sich Sternberg an den üblichen peer-review-Prozess gehalten hatte und der begutachtete Artikel von allen vier Experten als wissenschaftlich korrekt eingestuft worden war, nützte wenig: Kurz nach der Veröffentlichung zeigte ein leitender Angestellter der SI, Hans Sues, den Artikel einigen Kollegen und versandte dann an verschiedene Personen eine eMail, die offenbar eine weite Verbreitung fand. Darin bezeichnet er Meyers Artikel als „unwissenschaftlichen Müll“.

Auskünfte über private Ansichten. Zur selben Zeit wurde Sternbergs Dienstvorgesetzte zum Vorsitzenden der Zoologie-Abteilung, Jonathan Coddington, gerufen; sie sollte über Sternbergs private Ansichten Auskunft geben.

Zuerst wurde sie gefragt, ob Sternberg ein religiöser Fundamentalist sei. Sie verneinte dies. Daraufhin fragte Coddington, ob Sternberg irgendeiner religiösen Organisation nahe stehe oder angehöre. Schließlich wollte er wissen, wo Sternberg politisch gesehen einzuordnen sei. Sternbergs weltanschauliche Hintergründe waren plötzlich von großem Interesse und bezüglich der Beurteilung seiner Person das einzig maßgebliche Kriterium, während die Qualität seiner fachlichen Arbeit keine Rolle spielte.

Diese Befragung ließ nicht nur unangenehme Folgen für Sternberg erwarten, sondern führte außerdem zu einer Verunsicherung religiös orientierter Kollegen Sternbergs. Sie befürchteten berufliche Nachteile, falls ihre weltanschaulichen Positionen bekannt werden würden.

Veränderungen im Arbeitsumfeld. Im Oktober 2004 musste Sternberg auf einen Beschluss Coddingtons hin sein Büro aufgeben und seinen Schlüssel für das Departmentgeschoss abgeben. Somit hatte er keinen Zugang zu den Muster-Sammlungen mehr, die er für seine Forschung benötigte.

Er wurde außerdem einem neuen Kurator unterstellt, mit dem er berufliche Differenzen hatte, die aber nicht die Evolutionstheorie betrafen. Damit erhielten die ihm missgünstig gesonnenen Mitarbeiter die Kontrolle über seine Forschungstätigkeit.

Dass die Veränderungen und Verschlechterungen in Sternbergs Arbeitsumfeld nicht zufällig waren, bestätigte auch eine Untersuchung des Office of Special Counsel (OSC), an die sich Sternberg gewendet hatte, als die destruktiven Folgen seines außerberuflichen Engagements bezüglich des Meyer-Artikels seine Anstellung in starkem Maß bedrohten.5

Das OSC gibt auf seiner Website an, es gehöre zu seinen Aufgaben, „Nestbeschmutzer“ vor „Vergeltungsaktionen“ zu schützen.

Nach ersten Untersuchungen musste das OSC seine Ermittlungen jedoch einstellen, da sich Sternberg in einer besonderen juristischen Situation befand, aufgrund welcher er offiziell nicht als Angestellter der SI gelten konnte. Daher wären weitere Nachforschungen nur unter der Bedingung möglich gewesen, dass die SI ihr Einverständnis gegeben hätte. Dieses wurde aber verweigert. Dennoch sind die Ergebnisse der ersten Untersuchungsphase offen zugänglich und geben ein Bild von der Situation, in der Sternberg nach Veröffentlichung des Meyer-Artikels arbeiten musste. Das OSC bestätigt in diesem Dokument, dass es klar sei, „dass ein feindliches Arbeitsumfeld geschaffen wurde mit dem letztendlichen Ziel, Sie [Sternberg] zu zwingen, die SI zu verlassen.“

Die Untersuchung des OSC konnte auch zeigen, dass ein reger Austausch zwischen der SI und dem National Center for Science Education (NSCE) bestand. Das NCSE ist eine Organisation, die sich der Aufgabe verschrieben hat, evolutionskritische Inhalte von Schulen fernzuhalten. Weiter wurde nachgewiesen, dass Mitarbeiter des NSCE daran beteiligt waren, eine Strategie zu entwerfen, mit der Sternberg in der SI untersucht und in Misskredit gebracht werden sollte, und dass sie ihren Wunsch formulierten, Sternberg möge von der SI entfernt werden.

Gerücht fehlender Gutachten. Zudem förderte die geschäftsführende Direktorin des NCSE, Eugenie C. Scott, das Gerücht, der Artikel sei gar nicht begutachtet worden, durch folgende Aussage:

„Leute, die für die Begutachtung des Artikels angemessen gewesen wären, wären Evolutionsbiologen gewesen [Anmerkung: Sternberg selbst ist Evolutionsbiologe!]; und ich bezweifle, dass irgendein Evolutionsbiologe diesen Artikel begutachtet hat.“

Dieses Gerücht hielt sich hartnäckig, obwohl nachgewiesen werden konnte, dass die drei Begutachter sehr kritisch mit dem Artikel umgegangen waren, 50 Einwände zu Bedenken gegeben hatten und nicht notwendigerweise mit Meyers Argumenten und Schlussfolgerungen übereinstimmten.

Entgegen der weltweit akzeptierten Berufsethik hinsichtlich des peer review-Verfahrens wurde Sternberg mehrere Male ausdrücklich dazu aufgefordert, die Identitäten der Begutachter preiszugeben.

Neben der Behauptung, Sternberg habe den Artikel nicht begutachten lassen, wurde er außerdem mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe den Artikel eilig durch den peer review-Prozess geschleust. Fakt ist jedoch, dass von der Einreichung des Artikels bis zur Veröffentlichung sechs Monate vergingen und der fertige Artikel selbst noch zwei Wochen auf Sternbergs Schreibtisch lag, ehe dieser ihn zum Druck freigab, da er anderen Aufgaben zunächst höhere Priorität zumaß. Zum Vergleich: Als es in einem anderen Fall notwendig war, möglichst schnell zu veröffentlichen, war es Sternberg auch schon einmal gelungen, den gesamten Begutachtungsprozess in einem einzigen Monat abzuschließen. Die Behauptung des schnellen Durchreichens des Meyer-Artikels ist folglich aus der Luft gegriffen.

Weitere Gerüchte. Durch die nach der Veröffentlichung des Meyer-Artikels in der SI zirkulierenden eMails entstanden jedoch auch noch ganz andere Gerüchte, welche Sternbergs Ansehen enorm schadeten. Beispielsweise hieß es in einer eMail, Sternberg habe eine Ausbildung als orthodoxer Priester und sei gar kein ausgebildeter Wissenschaftler – eine völlig unbegründete Behauptung, ebenso wie die nicht den Tatsachen entsprechende Meinung, Sternberg habe seine Doktortitel gar nicht in wissenschaftlichen, sondern theologischen und philosophischen Gebieten erworben.

In anderen eMails wurde behauptet, Sternberg sei Kurzzeitkreationist, was in akademischen Kreisen einem „Todesurteil“ gleich kommt.

Sternberg gehört seit 2001 zwar zum Editorial Board von O ccasional Papers of the Baraminology Study Group (BSG), teilt aber nicht deren Auffassung. Die BSG ist eine kreationistische Gruppe von Wissenschaftlern, die versuchen, zum Thema „Biblische Art“ Wissenschaft zu betreiben.6 Sternberg war 2001 zur BSG-Konferenz eingeladen worden, um über die Geschichte des Strukturalismus zu referieren. Im Anschluss an diese Konferenz, auf der Sternberg auch seine Kritik am Kreationismus geäußert hatte, wurde er als objektiver Außenstehender in ein Redaktionsteam aufgenommen, um die neutrale Bewertung der eingereichten Beiträge für ein neu gegründetes elektronisches Journal zu gewährleisten. Sternberg vertritt selbst jedoch nicht den Kurzzeitkreationismus und nicht einmal „Intelligent Design“.

Auch wenn er anerkennt, dass ID schwierige Fragen aufgeworfen habe, betont Sternberg weiterhin, sei er nicht von „Intelligent Design“ überzeugt.

Seinen tatsächlichen, oft falsch dargestellten Standpunkt macht Sternberg in einem Interview deutlich: „Ich bin kein Evangelikaler, ich bin kein Fundamentalist, ich bin kein Kurzzeitkreationist, ich bin kein Vertreter der Theistischen Evolution.“

Vielmehr ist Sternberg Vertreter des Strukturalismus, der eine neutrale Auseinandersetzung mit der Ursprungsfrage anstrebt und Gesetzmäßigkeiten im Aufbau der belebten Welt untersucht, ohne diese einer bestimmten Ursprungsoption oder auch nur einem historischen Zusammenhang zwingend zuzuordnen. Diese Haltung ermöglicht ihm den Dialog mit Vertretern der ganzen Bandbreite an Ursprungsvorstellungen, wozu Sternberg sowohl Kreationisten als auch Neo-Darwinisten zählt, ohne dass er mit deren Anschauungen übereinstimmen muss.

Überwachung und Diskriminierung. Neben dem OSC setzte sich auch The House of Government Reform Subcommittee on Criminal Justice, Drug Policy and Human Resources mit Sternbergs Fall auseinander und schrieb in seinem Bericht, dass der eMail-Verkehr während August und September des Jahres 2004 zwischen NMNH-Beamten deren Absicht offenbarte, ihre staatlich finanzierte Tätigkeit dazu zu nutzen, Wissenschaftler aufgrund ihrer außerberuflichen Aktivitäten bezüglich Evolution zu diskriminieren. Aufgrund der in diesen eMails geäußerten Einstellungen könnten nach Ansicht des Berichts Wissenschaftler, von denen man wüsste, dass sie gegenüber der Darwinistischen Evolutionstheorie skeptisch eingestellt sind – völlig ungeachtet ihrer Qualifikationen oder ihrer Forschungserfahrungen – keine Gleichbehandlung oder gleiche Beachtung erwarten.

Die im Anhang veröffentlichten eMails zeigen außerdem, dass Sternberg einer so strengen Überwachung ausgesetzt war, dass sogar seine Ausleihen bei der Bibliothek kontrolliert wurden, in der Hoffnung, ihm etwaige Fehler nachweisen zu können, um eine offizielle Begründung für eine Entlassung angeben zu können.

Der Bericht geht auch auf neuere Entwicklungen ein und zeigt auf, dass sich die Situation auch später nicht signifikant gebessert hatte: Sternberg sei noch diskriminiert worden, lange nachdem bekannt war, dass die Anschuldungen gegen ihn unbegründet waren. Die Untersuchung habe zwingende Hinweise aufgedeckt, wonach Sternbergs Bürger- und Verfassungsrechte von Beamten der SI verletzt worden seien. Überdies zeigten sich die leitenden Beamten des SI komplett ungewillt, die Fehler zu korrigieren, die begangen worden waren, oder auch nur ernsthaft das Fehlverhalten zu untersuchen. Erst kürzlich hätten führende NMNH-Angestellte zugestimmt, dass Sternberg von Mitarbeitern zur Position des Research Collaborator degradiert wurde – völlig ungeachtet früherer Versicherungen, dass Sternberg ein angesehener wissenschaftlicher Mitarbeiter sei und volle und faire Beachtung für sein Gesuch erhalten würde, sein „Research Associateship“ möge verlängert werden. Der Bericht folgert:

„Das Versäumnis von Small und Burke [die leitenden Beamten], irgendetwas gegen solche Diskriminierung zu unternehmen, wirft ernsthafte Fragen auf über die Bereitschaft der SI, freie Rede und Bürgerrechte von Wissenschaftlern zu schützen, die abweichende Meinungen zu Themen wie biologische Evolution vertreten.“

Keine Reue zeigt auch Eugenie C. Scott vom NCSE, die neben anderen Mitgliedern derselben Organisation maßgeblich an der Verbreitung der haltlosen Anschuldigungen gegen Sternberg beteiligt war (s. o.). Sternberg sei Kreationist und habe den Meyer-Artikel nicht den Vorschriften gemäß behandelt:

„Offensichtlich waren die Leute ungehalten, sie waren frustriert, haben Dampf abgelassen … einige haben sich wahrscheinlich einer unangebrachten Sprache bedient. Ihre Besorgnis war, dass aufgrund der Verbindung mit diesem Journal, das einen kreationistischen Artikel veröffentlicht hat, irgendwie mit der Unterstützung des kreationistischen Anliegens assoziiert werden könnte.“

Dennoch habe Sternberg nicht wirklich leiden müssen:

„Er hat seine Anstellung behalten dürfen, es hat keine Gehaltskürzung gegeben, er hat immer noch seine Forschungsprivilegien, er hat immer noch sein Büro. Wissen Sie, was seine Beschwerde ist? Dass Leute nicht nett zu ihm waren. Nun, das Leben ist unfair.“

Dass jedoch die Behauptung, Sternberg sei doch eigentlich gar nichts widerfahren angezweifelt werden kann, wird deutlich, wenn man sich die Rufschädigung Sternbergs vor Augen führt. Selbst hier in Europa ist er nun als der Wissenschaftler bekannt, der angeblich auf illegale und unwissenschaftliche Art und Weise einen pseudowissenschaftlichen Artikel in eine Fachzeitschrift geschmuggelt haben soll. So schreibt beispielsweise der Skeptiker noch in seiner letzten Ausgabe des Jahres 2006, also lange nachdem die rufschädigenden Gerüchte über Sternberg widerlegt worden waren, in dem Artikel „Freispruch für Darwin?“ unter der Überschrift „Unsaubere Geschäfte“:

„Steven Meyer gelang es 2004 indes, einen ID-Artikel in einer wissenschaftlichen Zeitschrift zu veröffentlichen. Nachdem aber offensichtlich wurde, dass der Artikel (welcher nur eine Zusammenfassung bereits vorhandener Arbeiten war), grobe fachliche Fehler aufwies, und dass der Chefredakteur des Journals den Artikel an dem obligatorischen Begutachtungsverfahren durch andere Wissenschaftler und am editorial board des Journals vorbeigeschmuggelt hatte, erklärten die Herausgeber aufgrund des öffentlichen Drucks, dass sie den Artikel in dieser Form nicht mehr veröffentlichen würden. Außerdem zeigte sich kurz darauf, dass Meyer einen sehr ähnlichen Artikel mit geringen Änderungen, aber mit einer unterschiedlichen Autorenliste bereits in einem ID-internen Journal veröffentlicht hatte (Elsberry 2004).“ (Hervorhebung nicht im Original)

Hätte Meyer wirklich einen inhaltlich deckungsgleichen oder sehr ähnlichen Artikel anderweitig veröffentlicht, wäre das eindeutig gegen das Berufsethos von Wissenschaftlern. Das aber wäre Meyers und nicht Sternbergs Vergehen gewesen. Hier geht es lediglich um Sternberg und das Bild von ihm, das durch solche Behauptungen wie die des Skeptiker erzeugt wird.

Die vom Skeptiker wirklich gegen Sternberg erhobenen Vorwürfe wurden im obigen Zitat fett hervorgehoben. Sie zeichnen ein sehr deutlich von den Tatsachen abweichendes Bild Sternbergs, das seinem Ansehen als Wissenschaftler sehr abträglich ist.

Scotts Behauptungen sind in manchen Teilen jedoch nicht nur tendenziös, sondern teilweise auch eindeutig falsch: Sternberg musste eindeutige Kürzungen seiner Forschungsprivilegien hinnehmen, er wurde aufgefordert, seine Schlüssel abzugeben und wurde seines Büros verwiesen. Ein freundlicher Kurator erlaubte ihm lediglich, einen Tisch in seinem eigenen Büro zu benutzen, während Sternbergs Büro weiter unbenutzt leer stand. Außerdem ging die Feindseligkeit seines Arbeitsumfeldes soweit, dass ihm offen gesagt wurde, dass, falls irgendetwas verloren ginge, oder beschädigt würde, er dafür verantwortlich gemacht werden würde. Viele Kollegen ignorierten ihn nun und auch alte Kollegen von anderen Institutionen weigerten sich, mit ihm zusammenzuarbeiten und gaben als Grund den Meyer-Artikel an.

Aus diesen Gründen kam er immer seltener in das Museum. Der Arbeitsplatz, der ihm nun noch zugebilligt wurde, hatte in etwa die Größe eines Wandschranks und war „kalt und zappenduster“.

Er selbst war damit jedoch noch einverstanden. Erst als ein Mitarbeiter an ihn herantrat und ihm erzählte, wie verabscheut er am SI sei, und nachdem er eine Notiz erhielt, die ihm die Verantwortung für fehlende Materialien zuschrieb, gab er auf.

Sternberg merkt außerdem an, dass die Tatsache, dass er seine Anstellung am NIH letztendlich behalten konnte, alles andere als Scotts Verdienst gewesen sei. Vielmehr sei den an das NIH gestellten Forderungen nach seiner Entlassung nur deswegen nicht stattgegeben worden, weil mehrere U.S. Senatoren eingegriffen hätten.

Schluss

Die Sternberg-Affäre ist von mehrfacher Bedeutung: Zum einen zeigt sich, dass selbst in einer modernen, demokratischen Wissenschaftsnation wie den USA Wissenschaftler aufgrund ihrer (vermeintlichen!) privaten Ansichten massiv diskriminiert werden können. Diese Diskriminierung kann soweit gehen, dass der Arbeitsplatz solcher Wissenschaftler ernsthaft in Gefahr gerät, auch wenn dies anhand der nachgewiesenen Arbeitsleistung nicht begründet werden kann. Vermutlich wird es kaum ein Herausgeber eines biologischen Journals nach diesen Ereignissen mehr wagen, einen offen für ID argumentierenden Artikel zu veröffentlichen.

Zum anderen wurde ein fragwürdiger Umgang mit dem ID-Ansatz offenbar. Richard Dawkins behauptete in seiner bekannten Schrift „Why I won’t debate creationists“ folgendes:

„Habe keine Angst, dass der Herausgeber ihn [den wissenschaftlichen Artikel] ablehnen wird, nur weil er gegen Evolution argumentiert. Im Gegenteil, die Zeitschrift, welche den Artikel veröffentlichen würde, der wirklich einen Irrtum der Evolution oder überzeugende Indizien dagegen feststellen würde, hätte den Knüller des Jahrhunderts in wissenschaftlicher Hinsicht. Herausgeber würden einander umbringen, um ihn in ihre Hände zu bekommen.“ Behauptungen dieser Art sind mit der Sternberg-Kontroverse wohl widerlegt.

Zusätzlich hat der Fall einiges über die wirklich an ID gestellten Forderungen offenbart:

Ein Zitat von Klinghoffer bringt das auf den Punkt. Seiner Meinung nach habe das „Meyer-Fiasko“ eine zirkuläre Argumentationsstrategie offenbart, mit der gegen ID vorgegangen werde:

„Critics of ID have long argued that the theory was unscientific because it had not been put forward in a peer-reviewed scientific journal. Now that it has, they argue that it shouldn’t have been because it’s unscientific.“

Quellen

Von den ursprünglich hier angegebenen Quellen (die im PDF nach wie vor zu finden sind) wurden die nicht mehr funktionierenden Links gelöscht (Stand: 8.10.2019).

Anmerkung

  1. Wer sich mehr für Sternbergs Lebenslauf und seine Qualifikationen interessiert, kann auf seiner Webseite seinen Lebenslauf einsehen: http://www.rsternberg.net/CV.htm (Dieser Link führte offensichtlich zu einem anderen Richard Steinberg, die richtige Adresse wäre diese gewesen: http://www.richardsternberg.org, aber sie funktioniert nicht mehr, Stand: 8.10.2019)
  2. Dr. William Dembski, einer der bekanntesten Vertreter des ID-Konzeptes definiert ID auf seinem Blog www. uncommondescent.com wie folgt:
    „The theory of intelligent design (ID) holds that certain features of the universe and of living things are best explained by an intelligent cause rather than an undirected process such as natural selection. ID is thus a scientific disagreement with the core claim of evolutionary theory that the apparent design of living systems is an illusion.
    In a broader sense, Intelligent Design is simply the science of design detection — how to recognize patterns arranged by an intelligent cause for a purpose. Design detection is used in a number of scientific fields, including anthropology, forensic sciences that seek to explain the cause of events such as a death or fire, cryptanalysis and the search for extraterrestrial intelligence (SETI). An inference that certain biological information may be the product of an intelligent cause can be tested or evaluated in the same manner as scientist’s daily test for design in other sciences.
    ID is controversial because of the implications of its evidence, rather than the significant weight of its evidence. ID proponents believe science should be conducted objectively, without regard to the implications of its findings. This is particularly necessary in origins science because of its historical (and thus very subjective) nature, and because it is a science that unavoidably impacts religion.
    Positive evidence of design in living systems consists of the semantic, meaningful or functional nature of biological information, the lack of any known law that can explain the sequence of symbols that carry the “messages,” and statistical and experimental evidence that tends to rule out chance as a plausible explanation. Other evidence challenges the adequacy of natural or material causes to explain both the origin and diversity of life.“

  3. Ein sehr schönes Beispiel hierfür ist ein Artikel von David Abel und Jack Trevors: „Chance and necessity do not explain the origin of life.“, der in Cell Biology erschien. Zufall und Notwendigkeit – wer sich mit der Debatte zur Ursprungsfrage auseinandergesetzt hat, dem sind diese Optionen sehr geläufig. ID stellt genau diese Frage: Zufall, Notwendigkeit oder doch Intelligenz – was ist verantwortlich für die Entstehung und Entwicklung des Lebens, welche dieser Ursprungsoptionen? Wenn es nicht Zufall und Notwendigkeit sind, wie Abel und Trevors bereits im Titel ihrer Arbeit hervorheben – ist es dann nicht die Intelligenz, welche als Möglichkeit ins Spiel gebracht wird? Dennoch: Die Autoren benennen in ihrer Studie ID nicht und argumentieren nicht offen die Einbeziehung einer Intelligenz in den Prozess der Entstehung einer ersten lebenden Zelle.
  4. Der Artikel findet sich hier: http://www.discovery.org/scripts/viewDB/index.php…. Meyer hat auch speziell zur Kambrischen Explosion publiziert: Meyer SC, Nelson PA & Chien P (2001) The Cambrian Explosion: Biology’s Big Bang. http://www.theapologiaproject.org/Cambrian.pdf
  5. 5 In „The Branding of a Heretic“ von David Klinghoffer, wird Sternberg beispielsweise folgendermaßen zitiert: „I’m spending my time trying to figure out how to salvage a scientific career.“
  6. Ein Überblick über das Konzept der BSG kann in dem Überblicksartikel „A Refined Baramin Concept“ auf folgender Webseite eingesehen werden: http://www.bryancore.org/bsg/opbsg/003.pdf (Link funktioniert nicht mehr, Stand: 8.10.2019)