Alternative Geologie?
Hans-Joachim Zillmer: Irrtümer der Erdgeschichte. Die Wüste Mittelmeer, der Urwald Sahara und die Weltherrschaft der Dinosaurier. 335 Seiten, Verlag Langen Müller (Herbig), München 2001.
Wer würde sich von unseren Lesern nicht freuen, wenn ein Buch auf den Markt kommt, in dem wesentliche Fragen der Erdgeschichte im Rahmen einer kurzen Erd- und Lebensgeschichte beantwortet werden? Planetenkollision, Meteoriteneinschläge, die Sintflut und eine rasche Entstehung der Gesteine nehmen eine tragende Rolle in Zillmers Überlegungen ein. Auch die Evolutionslehre kritisiert er massiv. Zillmer will Fakten präsentieren, die eine kurze, katastrophisch geprägte Geschichte unserer Erde belegen. Doch auch willkommene Antworten oder Ansätze müssen kritisch geprüft werden.
Wie geht der Autor vor, auf welche Befunde stützt er seine Aussagen? Gegenüber seinem ersten Buch (vgl. W+W-info 1/99) hat er zweifellos dazugelernt. Seine damalige – völlig falsche – Behauptung, alle geologischen Formationen (Systeme) seien gleich alt, weil sie alle an der Erdoberfläche liegen können, findet sich in dieser Form nicht mehr. Das neue Buch enthält im Vergleich zum ersten auch ein umfangreicheres Literaturverzeichnis. Dennoch ist leider die Methode im Grunde die Gleiche geblieben. Wie die angeführten Zitate und Verweise im Text zeigen, stützt er sich in erster Linie auf mehr oder weniger populärwissenschaftliche Zeitschriftenartikel. Auch Veröffentlichungen von Sensations-Autoren wie (dem inzwischen widerlegten) Velikovsky bzw. Autoren mit esoterischem Hintergrund nehmen eine wichtige Stellung ein. (vgl. W+W-Disk. Beitr. 4/94). Dieser Denkweise steht der Autor offenbar in mancher Beziehung nahe (307-310). An vielen Stellen des Buches wird deutlich, dass er leider inzwischen keine gründlichen Kenntnisse im Fach Geologie erworben hat. Gründliche und umfassende Kenntnisse auf vielen Gebieten der Geologie sind jedoch unbedingt nötig, wenn man ein alternatives, umstürzendes und umfassendes geologisches Weltbild in Büchern der Öffentlichkeit vorlegt.
Öfter finden sich Sätze wie: „Mein spontaner Gedanke war jedoch…“ (31) oder „Mir drängte sich der Eindruck auf…“ (42). Häufig schreibt er: „Nehmen wir einmal an…“ (184) oder ähnlich. Dann folgen Ausführungen, die das Angenommene nicht selten bereits voraussetzen und zur Grundlage weiterer Argumentation machen. Zillmer zieht dann oft Einzelaussagen, zumeist aus populärwissenschaftlichen Artikeln, heran, die gerade zu seinen Ideen (zu ) passen (scheinen). Dadurch entsteht beim nicht vorgebildeten Leser der Eindruck, die Aussagen des Buches beruhten, wenigstens zum großen Teil, auf (neuen) Forschungsergebnissen. Jedoch entsteht durch diese Arbeitsweise eine Mixtur aus übernommenen Forschungsresultaten und fragwürdigen Gedankengänge des Autors. Dazu ein Beispiel:
Zillmer nimmt an, die Ozeane seien einst fast leer gewesen, weil die untermeerischen Schluchten an den Kontinentalabhängen seiner Meinung nach von Flüssen ausgehobelt wurden. Er zitiert dazu die Aussage eines Geologen aus dem Jahr 1949 – der sich allerdings vorsichtig ausdrückte („wie es den Anschein hat“; 239). Jedoch wurde erst später erkannt, dass untermeerische Sedimentlawinen (Turbidite) enorme Erosionskräfte freisetzen und tiefe Rinnen in die Kontinentalabhänge einfräsen können, vor allem vor Flussmündungen, wo viel Sediment angeliefert wurde. Zillmer sieht eine Analogie zum Mittelmeer, das nach geologischen Befunden tatsächlich einmal ausgetrocknet war. Er schreibt, die untermeerischen Canyons am Rand der Ozeane müssten eine U-Form und nicht eine V-Form haben, wenn sie von Sedimentlawinen ausgehobelt worden wären; das ist jedoch eine unbegründete Behauptung (237). Vor allem aber: Im Mittelmeer wurde die Austrocknung durch Tiefseebohrungen ermittelt, z.B. weisen Salzlager unter dem Meeresgrund darauf hin. Sehr wichtig ist: Bei der Austrocknung im Mittelmeer sind die Flusstäler (z.B. von Nil, Rhone oder Po) infolge des enorm zunehmenden Gefälles bei starker Strömung immer tiefer und flussaufwärts in den Untergrund eingeschnitten worden (sie wurden beim späteren Meeresspiegelanstieg wieder verfüllt). Die Nebenflüsse des Po schnitten sich sogar bis in den Raum der Südalpen viele Hundert Meter tief ein. Alle diese (und weitere) Befunde hat man in und am Rand der Ozeane trotz umfangreicher Tiefbohrungen jedoch nicht gemacht. Zillmers Arbeitsweise kann man so charakterisieren: Er nimmt jeweils einige Einzelheiten aus der Literatur auf, die in sein Konzept passen; die (oft zahlreichen) entgegenstehenden Befunde werden jedoch nicht diskutiert. Das ist nicht nur ein unwissenschaftliches, es ist ein unredliches Vorgehen.
Ein Beispiel für die Art und Weise, wie Zillmer eine kurzzeitige Erdgeschichte begründet: Er erwähnt die Hypothese, dass nach der Eiszeit das Schwarze Meer ein Süßwassersee war, dessen Wasserspiegel mehr als 100 m unter dem heutigen lag. Dann brach das Mittelmeer beim Bosporus katastrophisch durch und verfüllte mit Salzwasser in kurzer Zeit den See; die Menschen an den Seeufern mussten vor dem steigenden Wasser fliehen. Diese Hypothese wurde von den US-Meeresgeologen Pitman & Ryan gut begründet (wobei allerdings ihre Annahme abzulehnen ist, es handle sich hier um die biblische Sintflut). Zillmer fragt nun, ob es nicht eher eine Kettenreaktion gegeben habe: Zuerst war nach der Austrocknungsphase das Mittelmeer wieder vollgelaufen, „und als Folge des sich aufbauenden Wasserdrucks brach kurz danach die Bosporus-Schwelle? Oder hielt sie tatsächlich 5 Ma [= Millionen Jahre], wie Pitman und Ryan meinen?“ (248). Zillmer fragt hier (wie anderswo) zwar rhetorisch, aber in Wirklichkeit gilt ihm dieses Szenario als gesichert. Hier zeigt sich beispielhaft, wie gemäß seiner Sicht die Erdgeschichte verkürzt werden kann.
An diesem Beispiel kann man gut darstellen, worin der Unterschied zwischen der geologischen Arbeitsweise von Autoren wie Zillmer und der SG Wort und Wissen besteht. Zwar gibt es eine weitgehende Übereinstimmung – wenn auch nicht in vielen Einzelheiten – in der Annahme einer kurzen Erd- und Lebensgeschichte. Aber kann man die 5 Millionen Jahre zwischen der obersten Miozän-Stufe des Tertiärs, in der die Austrocknung des Mittelmeers geschah, und der frühen Nacheiszeit, als das Mittelmeerwasser durch den Bosporus brach, auf diese simple Weise „wegzaubern“? Dazu einige Hinweise:
Nach dem Miozän kam die jüngste Tertiär-Stufe, das Pliozän und darauf das Pleistozän, das man vor ca. 1,8 Mio. Jahren beginnen lässt. Es wurde (vereinfacht) auch als „Eiszeitalter“ bekannt. Danach (mit ca. 10.000 Jahren vor heute datiert) begann das „Gegenwartszeitalter“ (Holozän). Also nicht lange nach der Eiszeit (wie man annimmt, vor 7.600 Jahren) wurde das Schwarze Meer überflutet.
Was charakterisiert nun die von der Schulgeologie angenommenen 5 Mio. Jahre? Ist die Zahl ein bloßes Phantasieprodukt, wie Zillmer suggeriert? Lehnen nicht auch wir bei Wort und Wissen die langen Zeiten ab? Ja, das tun wir. Aber die Zeit zwischen der Austrocknung des Mittelmeers und der Zeit der Überflutung des Schwarzes Meeres wird durch Gesteine, vor allem Ablagerungsgesteine (Sedimente) charakterisiert, in denen bestimmte Fossilien eingeschlossen sind. Diese Gesteine wurden auf dem Boden des Mittelmeers von Tiefbohrungen durchörtert, sie liegen über dem Salzlager der Austrocknungsphase. Man findet gleich alte Sedimente aber auch in Italien, und nicht nur dort, sondern z.B. auch in der Kölner Bucht über dem Braunkohlentertiär.
Entscheidend ist nun, in detaillierter Auseinandersetzung mit den Vorstellungen der Schulgeologie zu begründen, warum es keine 5 Mio. Jahre gedauert haben muss, bis sich die Gesteine zwischen der Austrocknungsphase des Mittelmeeres und der Jetztzeit gebildet haben. Und genau das tut Zillmer nicht, sondern er geht leichthin über die zahlreichen Details der o. g. Gesteinsbildung hinweg. So lehnt er auch – um geologische Zeit zu sparen – die Eiszeit im Sinn einer Kontinentalvergletscherung in Mitteleuropa ab und spricht von „Schneezeit“. Aber die zahlreichen Hinweise, die auf eine Vergletscherung (z.B. Norddeutschlands) hinweisen, behandelt er völlig unzureichend. So erwähnt der Autor „riesige, rund (!) geschliffene Felsbrocken“ (220), die nach geologischer Meinung Zeugen der Eiszeit seien; aber er weiß nicht (zumindest erwähnt er nicht), dass u.a. große Blöcke mit völlig flach geschliffenen Flächen kennzeichnend sind für Gletscherablagerungen (Moränen) des Inlandeises, um nur ein Beispiel zu nennen. Aber wir sind herausgefordert, schwierige geologische Probleme sachlich und gründlich zu behandeln, auch wenn wir nicht in jedem Fall eine schnelle Antwort geben können.
In ähnlicher Weise werden auch andere geologische Fragen völlig unzureichend behandelt. So zitiert Zillmer zur Entstehung des Buntsandsteins ein Buch aus dem Jahr 1912 (!), in dem die Sedimentstrukturen auf Windtransport in einer Wüste zurückgeführt werden. Wenn der Autor nur einige der zahlreichen neueren Arbeiten eingesehen hätte, wüsste er, dass man heute Windtransport für Buntsandstein-Sedimente nur untergeordnet veranschlagt; vielmehr im großen und ganzen von fluviatilem Transport (Ablagerung in Flußsystemen) ausgeht. Aber auch wenn man wie wir bei Wort und Wissen von einer viel schnelleren Entstehung des Buntsandsteins ausgeht als die Schulgeologie, kann man es sich nicht derart einfach machen und fast unbegründet behaupten, seine Entstehung schrumpfe „auf vielleicht nur wenige Stunden zusammen“ (282). Allein die zahlreichen trocken gefallenen Oberflächen auf vielen Buntsandsteinbänken (Trockenrisse), die von Reptilien bis weit in das Buntsandstein-Ablagerungsbecken hinein belaufenen Oberflächen vieler Bänke (Fährtenzüge), echte Sedimentationsunterbrechungen (Karneol-Dolomit-Horizont u.a.), Wachstum von durch Mikroben aufgebauten Riffstrukturen (Stromatolithen) im unteren Buntsandstein und anderes widerspricht einer derart extrem kurzen Bildungszeit. Mit solchen Phänomenen setzt sich der Autor gar nicht auseinander.
Wie diese Beispiele zeigen, hat der Autor nicht nur keine wirkliche Kenntnis der Literatur. Er hat zwar mehrere Gebiete, besonders in den USA, bereist; aber er besitzt offenbar keine gründlichen geologischen Geländekenntnisse, schon gar nicht in Mitteleuropa. Beides zeigt sich in der Frage der Fossilbildung. Zillmer behauptet, dass die Geologen dieselbe auf eine „Regionalmetamorphose“ zurückführten (53). Diese Behauptung ist völlig falsch; der Begriff betrifft nicht die Fossilbildung, sondern (tief) in der Erdkruste versenkte und durch Druck/Temperatur umgewandelte (= metamorphe) Gesteine, in denen zumeist keine Fossilien mehr erkennbar sind. Offizielle Lehre soll angeblich sein: „Es dauert Millionen von Jahren, bis Fossilien versteinern“ (286). Zillmer hat jedoch die umfangreiche Literatur über die Schichtfolgen nicht zur Kenntnis genommen, in denen besonders gut erhaltene Fossilien konserviert sind (sog. Konservat-Fossillagerstätten), bei denen schnelle Entstehung angenommen wird. Solche Fundstellen sind in Deutschland aber vergleichsweise häufig. Der Widerspruch in vielen geologischen Fachpublikationen besteht vielmehr darin: Einerseits nimmt die Schulgeologie eine (z.T. sehr) geringe Sedimentationsrate an, andererseits wird (oft) zugegeben, dass gut erhaltene Fossilien schnell zugedeckt und konserviert worden sein müssen; dies aber müsste zu einer insgesamt schnelleren Ablagerung vieler Schichten nacheinander führen. Die „Beton-Theorie“ des Autors – er ist Diplom-Ingenieur im Bauwesen – wirkt in dieser Form obskur. Er will damit begründen, warum Sedimente nicht nur rasch abgelagert, sondern auch schnell erhärten können.
Auch mit den Fossilien „am falschen Platz“ (z.B. Saurierspuren gemeinsam mit Menschenspuren) geht der Autor sehr unkritisch um. Ein schöpfungsorientierter Paläontologie schrieb mir schon vor vielen Jahren, dass es sich bei der Gesteinsplatte mit einem „menschlichen Fußabdruck“ auf einem Trilobiten aus Utah (25) in Wiklichkeit um eine zufällige Spaltungsspur im Sediment handle. Der Stuttgarter Paläontologe E. Fraas hat schon 1910 in seinem bis heute aufgelegten Fossiliensammler-Buch Der Petrefaktensammler eine Anzahl solcher Steingebilde, die man „Naturspiele“ nennt und die zufällig echten Fossilien ähneln, abgebildet. Ein „Damenschuh“-Abdruck ist dabei, eine „zufällige Auswitterung einer Spongie [Schwamm] im Jurakalk“ – sieht mindestens so „echt“ aus wie die „Fußspur“ aus Utah! Zillmer bildet Ober- und Unterseite eines heutigen, toten Gliedertiers ab (Foto 1 u. 2) und stellt „zur Diskussion“, ob es sich um einen bis zur Gegenwart überlebenden Trilobiten handelt (er meint: „Die Ähnlichkeit ist frappierend“; 25). Es handelt sich in Wirklichkeit um den großen Kiemenfuß-Krebs Triops cf. cancriformis, ein Tier mit einer interessanten Lebensweise, das zwar zu den Gliederfüßern gehört, aber ein Süßwasserbewohner ist und nur eine oberflächliche Ähnlichkeit mit Trilobiten aufweist. Man könnte auch hier erwarten, dass der Autor sich vor der Buchveröffentlichung auf persönlichem Weg oder durch zoologische Literatur kundig gemacht hätte.
Es liegt mir fern, die „Beweise“ Zillmers für die Gleichzeitigkeit von Menschen und Dinosauriern in Bausch und Bogen abzustreiten (36ff.) – vielmehr wünsche ich mir solche Funde! Aber angesichts mancher Ernüchterungen in der Vergangenheit ist in jedem Fall eine sehr kritische Prüfung unumgänglich. Die entsprechenden Abschnitte in Zillmers Buch wirken leider nicht sehr kritisch.
Im Buchschluss formuliert der Autor, dass es „ein eigentümlicher Weg“ gewesen sei, den der Leser durch die Kapitel des Buches gegangen ist (307). In der Tat – und so manchen „eigenartigen Fund“, den ich auf diesem Weg gemacht habe, konnte ich hier der Kürze halber nicht vorstellen. Aber ich kann niemand empfehlen, selbst diesen Weg zu gehen. Er bringt dem Leser keinen Gewinn, sondern gaukelt ihm vor, sich hier auf einem Weg zu befinden, der zu einem wirklich begründeten Kurzzeit-Modell der Erdgeschichte führe. Dies ist leider nicht der Fall, das Buch enthält zahlreiche Fehler und führt bedauerlicherweise auf einen Irrweg. Unser eigener Anspruch an wissenschaftliche Gründlichkeit und Wahrhaftigkeit verträgt sich nicht mit der fragwürdigen Methode, die diesem Buch zugrunde liegt.