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Evolutionäre Entwicklungsbiologie


Artikel als PDF-Datei (11 Seiten, 306 KB, Stand: 21.04.2010)

Zusammenfassung:

Hemminger & Beyer (2009) geben in einem Buchbeitrag Einblicke in die neue Forschungsrichtung der Evolutionären Entwicklungsbiologie (kurz: Evo-Devo). Nach Auffassung ihrer Befürworter – auch der beiden Autoren – bietet dieser neue Zweig der Evolutionsbiologie einen hoffnungsvollen Ansatz zum kausalen Verständnis der Evolution, insbesondere zur Entstehung von evolutionären Neuheiten. Die beiden Autoren vermitteln dem Leser durchweg den Eindruck, Evo-Devo liefere bereits für eine große Anzahl offener Fragen solide Erklärungen, obwohl sie – wie auch die von ihnen nur sehr selektiv zu Rate gezogene Originalliteratur – nur vage Vorstellungen und Ideen präsentieren. Die Autoren listen nur notwendige Bedingungen und bloße Beschreibungen möglicher evolutionärer Änderungen der Ontogenese auf, die per se keine Erklärungen von (hypothetischen) Evolutionsprozessen beinhalten. Sie versäumen es, auf die fehlenden empirischen und experimentellen Belege für die behaupteten evolutiven Prozesse hinzuweisen. Ob der Evo-Devo-Ansatz wirklich neues Erklärungspotential besitzt, muss sich erst noch erweisen; bislang beruht der Fortschritt der Forschung jedenfalls im Wesentlichen auf der „Devo“-Seite, also der Entwicklungsbiologie, die die Prozesse des Werdens individueller Organismen beschreibt. Hier wurden überraschende und faszinierende Entdeckungen gemacht wie die Modularität in der Genetik und im Stoffwechsel, die Ähnlichkeiten zahlreicher Regulationsgene in verschiedensten Tierstämmen (Konservierung der Gene) und die Mehrfachnutzung von Genen bzw. Proteinen oder ganzer Module. Ob und ggf. inwiefern diese Entdeckungen einen Schlüssel auch zum Verständnis der stammesgeschichtlichen Evolution (Phylogenese) liefern, ist offen.

Prozesse der Ontogenese (Individualentwicklung) dürfen nicht ohne empirisch belegte Nachweise auf phylogenetische Abläufe abgebildet werden, sondern vermitteln allenfalls Ideen, die getestet werden müssen. Diesen für den Anspruch von Wissenschaftlichkeit entscheidenden Schritt übergehen Hemminger & Beyer in ihrem Beitrag, die von ihnen vorgestellten experimentellen Befunde erklären im Wesentlichen nur Aspekte von „Devo“. Der Beitrag enthält zudem fachliche Fehler, insbesondere werden Schlüsselbegriffe (z. B. Heterochronie) z. T. falsch definiert und angewendet. Die Darstellung des Forschungsstandes zur Entstehung des Fledermausflügels ist gegenüber der Fachliteratur verkürzt und dadurch irreführend.

Die beiden Autoren befassen sich in ihrem Beitrag auch mit einem kritischen Artikel über Evo-Devo von Junker (2007). Dieser Teil ist durchsetzt von unwahren und sinnentstellenden Aussagen und lässt erkennen, dass von den Autoren wichtige Teile der Evo-Devo-Literatur nicht zur Kenntnis genommen wurden. Auffällig sind hier besonders  eine fehlerhafte und geschönte Widergabe der Ausgangssituation der Evolutionsbiologie, sachliche Entstellungen von Argumenten sowie eine inkorrekte Einverleibung von Evo-Devo in das überkommene Gebäude der Synthetischen Evolutionstheorie. Ein Großteil der kritischen Analyse des Evo-Devo-Ansatzes durch Junker (2007) wird von Hemminger & Beyer dagegen nicht einmal erwähnt. Der Beitrag der beiden Autoren erschien im Sammelband „Evolution im Fadenkreuz des Kreationismus“. Dessen Anspruch, Argumentationen von „Evolutionsgegnern“ kritisch zu analysieren, wurde im Beitrag von Hemminger & Beyer deutlich verfehlt.