Evangelische Kirche lehnt Kreationismus und „Intelligent Design“ ab
Das Leitungsgremium des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) veröffentlichte am 1. April 2008 eine „Orientierungshilfe“ mit dem Titel „Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule“ (EKD-Text). Darin wird die Überzeugung, dass die Welt genauso entstanden ist, wie es die Bibel berichtet („Kreationismus“) aus theologischen Gründen abgelehnt. Der „Kreationismus“ missachte bibelwissenschaftliche und systematisch-theologische Einsichten und die geschichtlichen Zusammenhänge der Bibelentstehung. Auch der „Intelligent Design“-Ansatz wird abgelehnt, weil er Gott in die „zweifelhafte Rolle eines Lückenbüßers“ bringe und weil er pseudowissenschaftlich vorgehe. Daher könne evangelischer Religionsunterricht den Kreationismus zwar thematisieren, ihn jedoch nicht vertreten. Für die Schule wird fächerverbindender Unterricht empfohlen.
Der EKD-Text wendet sich auf der anderen Seite auch gegen den Versuch von Atheisten wie dem englischen Biologen Richard Dawkins, mit naturwissenschaftlichen Argumenten dem Glauben an Gott die Grundlage zu entziehen. Die Kritik gleicht hier der Kritik am Kreationismus: Missachtung bibelwissenschaftlicher Ergebnisse und ein verkehrtes Verständnis von einem Lückenbüßergott.
Stellungnahme
1. Die Studiengemeinschaft Wort und Wissen stimmt zu, dass biblischer Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft unterschiedliche Ebenen der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten von Wirklichkeit repräsentieren. Schöpfungsglaube ist aber mehr als nur eine Deutung der Natur, sondern begreift das Handeln Gottes in und an der Welt als realen Akt, wie es die Heilige Schrift bezeugt: er spricht und es geschieht (Psalm 33,9). Dass Gottes Schöpfungshandeln naturwissenschaftlich Fassbares sprengt, wird auch an den Vollmachtstaten Jesu deutlich, wie sie die Evangelien bezeugen (Heilungen, Totenauferweckungen, Naturwunder). Die im EKD-Papier betonte Relevanz des Schöpfungsglaubens für existentielle Fragen ist wichtig, eine Einengung darauf bzw. der Verzicht auf den Anspruch, historisch Tatsächliches zu bezeugen, jedoch biblisch nicht gerechtfertigt. Eine solche inhaltliche Beschränkung würde gerade die Basis für die existentielle Seite des Schöpfungsglaubens zerstören. Würde sich das Schöpfungshandeln Gottes in den regelhaften Prozessen der Natur erschöpfen, wie könnte dann auf sein helfendes Eingreifen gehofft werden?
2. Wir stimmen zu, dass Gottes Schöpfungshandeln nicht durch Naturwissenschaft nachgezeichnet oder bewiesen werden kann. Es ist aber legitim, in einem naturwissenschaftlichen Kontext nach Hinweisen in der Schöpfung zu suchen, die sich als Zeugnisse auf Gottes Schöpfungshandeln in einem außerwissenschaftlichen Rahmen interpretieren lassen (Röm 1,19ff.). Wenn Gott durch sein Wort konkret Erfahrbares erschafft, resultieren daraus Grenzen für eine naturwissenschaftliche Kausalerklärung. Solche konkreten Phänomene in der Natur zu benennen und die Grenzen des naturwissenschaftlich Aussagbaren auszuloten zu versuchen, schiebt Gott keine Lückenbüßer-Rolle zu. Den ID-Ansatz ohne nennenswerte Darstellung und Begründung pauschal als „pseudowissenschaftlich“ abzutun, ist unseriös.
3. Die zentrale theologische Motivation der Evolutionskritiker wird wie in vielen anderen kirchlichen Stellungnahmen nicht thematisiert, nämlich der heilsgeschichtliche Zusammenhang zwischen der Erschaffung des ersten Menschenpaares sowie dem Einbruch von Sünde und Tod in die Schöpfung auf der einen Seite, und dem Kommen, Leiden, Sterben und der Auferstehung Jesu auf der anderen Seite. Das am stärksten systematisch-theologische Lehrschreiben des Apostels Paulus, der Römerbrief, thematisiert dies an zentraler Stelle (Röm 5,12ff.; 8,19ff). Danach kamen Sünde und Tod erst nach der Erschaffung des ersten Menschenpaares in die Welt (Röm 5,12ff.). Sünde ist demnach nicht ein Produkt der Evolution und der Tod nicht eine Voraussetzung für die Entstehung allen Lebens. Wäre der Mensch durch Evolution aus dem Tierreich entstanden, wäre er als Sünder erschaffen worden und darum an seiner Sünde letztlich unschuldig. Dass Jesus Christus die Sünde der Menschen stellvertretendgetragen hat, passt daher nicht zu einer evolutiv gedeuteten Geschichte des Menschen.
4. Wir begrüßen es, dass in dem EKD-Papier Grenzen der naturwissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeit angesprochen werden. Es sollte jedoch deutlich gemacht werden, dass aufgrund dieser Grenzen auch nichts Sicheres über Ursprung und Geschichte des Lebens gesagt werden kann. Die geforderte wissenschaftstheoretische Reflexion muss beinhalten, dass auch die Vorstellung von einer allgemeinen Evolution auf den Prüfstand kommen muss, sonst wird sie zum Dogma. Es ist weder fachwissenschaftlich noch wissenschaftstheoretisch gerechtfertigt, die Evolutionsanschauung als einzig möglichen und nicht zu hinterfragenden Rahmen der wissenschaftlichen Weltbetrachtung zugrunde zu legen. Gerade aus theologischer Sicht muss hier Einspruch gegen überzogene Geltungsansprüche der Naturwissenschaft erhoben werden.
5. Die Empfehlung der EKD, einen fächerübergreifenden Unterricht zu erteilen und wissenschaftstheoretische Fragen im Schulunterricht zu thematisieren, thematisieren und fordern wir schon seit Jahren (Evolution und Schöpfung in der Schule).
6. Genauso wie Theorien der Naturwissenschaft zu hinterfragen sind, muss auch mit bibelwissenschaftlichen Hypothesen zur Entstehung und theologischen Einordnung der biblischen Schöpfungstexte kritisch umgegangen werden. Der biblische Schöpfungsbericht ist zwar im Kontext altorientalischer Vorstellungen entstanden, weist aber selbst keine Mythen auf. Eine direkte literarische Abhängigkeit des biblischen Berichts von altorientalischen Paralleltexten konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Das biblische Gottes-, Menschen- und Weltbild im biblischen Schöpfungsbericht unterscheidet sich fundamental von den Vorstellungen in altorientalischen Schöpfungsmythen. Die angeblich relativ späte alttestamentliche Schöpfungsüberlieferung der Genesis gegenüber vermeintlich älteren Traditionen Israels (Exodus aus Ägypten; Landnahme in Kanaan) ist keine Tatsache, sondern lediglich eine Hypothese; als solche kann sie kritisch diskutiert werden. Sie kann aber nicht Basis für eine theologische Relativierung bzw. Zurückstufung des alttestamentlichen Schöpfungszeugnisses sein. Im Übrigen widerspricht eine Deutung der Schöpfungstage von Ps 90,4 her dem exegetischen Konsens.