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„Vergessene Archäologie“ – Rezension eines Fachmanns


Kürzlich erschien erstmals eine Besprechung des in vielerlei Hinsicht ungewöhnlichen Buches „Vergessene Archäologie“ von Michael Brandt in einer Fachpublikation.1 Verfasser der Buchbesprechung ist Lutz Fiedler, langjähriger Leiter der Archäologischen Abteilung in der Außenstelle Marburg des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen und ein Kenner der Materie der menschlichen Steinwerkzeuge.

Die Besprechung beginnt mit einigem Lob: „Das Buch ist mit außerordentlichem Fleiß, der beispielhaft für andere Fachautoren sein könnte, von Michael Brandt erstellt worden. Ebenso hat der Verlag eine schöne Form dafür gefunden. Die zahlreichen Photos sind meisterlich gelungen.“

Er fährt fort, dass es sich um ein „überraschendes“ Werk handle, da es sich mit Steinwerkzeugen auseinandersetzt, deren Untersuchung vor einem Jahrhundert aktuell gewesen, deren Werkzeugnatur aber längst abgelehnt worden sei. Ganz vergessen seien diese Funde aber nicht, sondern würden auch heute noch erwähnt, wenn neue Funde irrtümlich als Werkzeuge interpretiert würden.

Aber gerade das ist der Zweck von „Vergessene Archäologie“: eine als erledigt erklärte Debatte aus guten Gründen neu anzustoßen. Und für diese Gründe liefert Michael Brandt viel Stoff in seinem Buch. Daher interessiert vor allem, wie Fiedler in seiner Rezension damit umgeht. Hierzu kann man mit Fug und Recht feststellen, dass Brandts Argumente nicht geschwächt oder gar widerlegt werden. Im Gegenteil – Fiedler schreibt: „Tatschlich sind einige Fundstücke aus dem Cantal und aus England von gewöhnlichen altpaläolithischen Artefakten nicht unterscheidbar. Aber ihr geologisches Alter von mehr als 4 Mio. Jahren schließt frühmenschliche Hersteller mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus.“ Und etwas später: „Außerdem spielt die geochronologische Zuordnung eine Rolle.“ Die Werkzeugnatur der Funde, die zu alt sind, um in evolutionäre Hypothesen zur Entstehung der Menschheit zu passen, wird also wegen des Alters abgelehnt, nicht weil der Werkzeugcharakter widerlegt worden wäre. Fiedler behauptet dann zwar, dass altpaläolithische Artefakte in technologischen Prozessen entstanden seien, die per se naturgesetzlich seien und folglich auch in der Natur vorkämen, geht aber auf Brandts Argumente, warum Naturprozesse die Merkmale der beschriebenen tertiären („viel zu alten“) Werkzeuge nicht hervorbringen können, nicht ein. Gerade das wäre aber angesagt gewesen.

Fiedler deutet die unterschiedlichen Einschätzungen durch Brandt und durch ihn selbst so: „Es treffen also unterschiedliche Haltungen und Weltbilder mit jeweiligen Begründungen aufeinander.“ Das trifft wohl zu, da bestimmte Vorstellungen zur Evolution des Menschen maßgeblich die Ablehnung der Werkzeugnatur motivieren. Wenn Fiedler weiter schreibt, dass der Gedanke an „Steinwerkzeuge fast so alt wie Dinosaurier“ seiner Auffassung nach „extrem weit über die diskutierbaren, vielleicht sogar diskussionswürdigen Grenzfälle hinaus“ schießen würden, so hat er dafür jedoch keine Begründung über den Aspekt der zeitlichen Nichtpassung hinaus vorgelegt.

Trotz seiner negativen Einschätzung über Brandts Schlussfolgerungen schließt der Rezensent seine Besprechung mit einem positiven Urteil: „Dennoch ist das Buch eine wertvolle Fundgrube für alle, die sich mit der Forschungsgeschichte des Paläolithikums auseinandersetzen. Noch nie zuvor ist diese frühe und sehr spannende Episode so korrekt und ausführlich dargestellt worden. Deshalb gehört das Werk, trotz der unvernünftigen Ausführungen über angebliche Artefakte aus dem Paläogen, doch in die Bibliothek jedes Instituts der Altsteinzeitarchäologie.“ Diesem Wunsch schließe ich mich gerne an in der Hoffnung, dass die Leser dann ihr eigenes Urteil bilden können, ob die Ausführungen über die Werkzeugnatur der viel zu alten Artefakte wirklich unvernünftig sind.

1 Fundberichte aus Hessen, 51./52. Jahrgang 2011/2012, hessenARCHÄOLOGIE, Am Landesamt für Denkmalpflege. Wiesbaden 2014. ISBN 978-3-7749-3822-9; S. 471-473.

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