Naturalistische Evolution und Gottesbild – Zusammenstellung von Texten mit Kommentaren von Reinhard Junker
Es gibt und gab viele Überlegungen, ob und wie das Evolutionsparadigma mit einem Schöpfungsglauben vereinbar ist. Hier soll es um die Frage gehen, welcher Inhalt ein Schöpfungsglaube haben kann, wenn
- Makroevolution als Tatsache betrachtet wird und
- eine allgemeine Evolution der Lebewesen als vollständig naturgesetzlich erklärbar angesehen wird (ungeachtet der Frage, ob dies wirklich gelungen oder möglich ist).
Ein Beitrag der ARD im Oktober 2004 über die neuen Kontroversen um die Evolutionstheorie wurde wie folgt im Internet angekündigt: „Seit mehreren Jahren stellen sich den dogmatischen Religionsideologen, die als so genannte Kreationisten bezeichnet werden, engagierte Evolutionsbiologen entgegen. Es geht dabei nicht darum individuelle ‘Glaubensbekenntnisse’ zu diskreditieren, sondern darum, dass der wissenschaftlich bewiesene Sachverhalt der Evolution nicht in Abrede gestellt wird.“ Wenn also mit Evolution eine rein naturalistisch verstehbare Gesamtevolution des Lebens (Makroevolution) gemeint ist (und auf dieses Verständnis wird von Evolutionsbiologen großen Wert gelegt), wie kann das Gottes Wirken als Schöpfer verstanden werden, wenn man dieses „Glaubensbekenntnis“ nicht „diskreditieren“ will?
Drei deutsche Autoren, die sich in der aktuellen Diskussion zu dieser Frage geäußert haben, sollen nachfolgend zu Wort kommen.
Martin Neukamm (2004). Dieser Autor ist Mitarbeiter der AG Evolutionsbiologie im Verband deutscher Biologen. Er schreibt: Es sei „keineswegs beabsichtigt, einem starken Naturalismus das Wort zu reden oder sogar die Nichtexistenz einer wie auch immer gearteten Übernatur kategorisch zu verneinen.“ Religiöse Überzeugungen kollidierten jedoch mit der wissenschaftlichen Erkenntnisstrategie, deren primäres Ziel darin bestehe, „auf alle Fragen nach dem Sein und Werden der Welt rationale Antworten zu finden“. Das gelte „selbst dann, wenn die Fragestellung den Urgrund allen Seins berührt.“ (Aus dem Kontext geht hervor, dass mit „rational“ „naturwissenschaftlich durch Gesetze beschreibbar“ gemeint ist.) Stütze man sich dagegen in „Erklärungen“ auf eine übernatürliche „Sonderwirklichkeit“ jenseits des Weltgeschehens, sei dies selbst für die Theologie ruinös. Denn Gott werde als Lückenbüßer an die Grenzen unseres gegenwärtigen Wissens gesetzt. Je mehr diese Grenzen aber ausgeweitet würden, desto weniger Platz bliebe für Gott. „Theologische Modelle, die hingegen eine Schöpfung als „weltimmanenten“ – naturalistisch fassbaren – Entwicklungsprozess begreifen, vermeiden von vorne herein derartige Konflikte.“ Dies mache sie zwar nicht wissenschaftlicher, jedoch mit der Wissenschaft und ihren Prinzipien grundsätzlich kompatibel.
„Schöpfung“ müsse also weltimmanent, naturalistisch fassbar sein, sonst sei sie nicht akzeptabel. Die Ausführungen Neukamms machen deutlich, dass Gott als souveräner Schöpfer, der in die Geschehnisse eingreifen kann und die Welt durch sein Machtwort hervorgebracht hat, für Naturalisten inakzeptabel ist. Ein Gott aber, der keine Wunder tun kann, die ihre Spuren in unserer Welt hinterlassen, ist im eigentlichen Sinne des Wortes weltfremd und nicht der Gott, der sich in der Bibel geoffenbart hat.
In Neukamms Worten spiegelt sich die durchaus nicht neue Überzeugung, durch naturalistisch orientierte Wissenschaft könne irgendwann einmal alles erklärt werden, auch alle Ursprungsfragen. Wenn Lücken in unseren Kenntnissen Hinweis auf Gottes Wirken seien, bliebe für Gott schließlich kein Platz mehr: das ist das für die Theologie „ruinöse“ Lückenbüßer-Argument. Dieses Argument ist in der Tat unbrauchbar, mit ihm wird aber von Theisten die Existenz Gottes auch nicht begründet, siehe dazu „Ist Gott als Schöpfer ein „Lückenbüßer“ für Unverstandenes?“ unter www.genesisnet.info/schoepfung_evolution/f73_5.php.
Weiter Neukamm (2004, Anm. 1): „Im Kontrast dazu geraten pantheistische bzw. weltimmanente Schöpfungsentwürfe, wie sie von der Mehrheit der religiös veranlagten Wissenschaftler vertreten werden, nicht mit wissenschaftlichen Lehrinhalten und Prinzipien in Konflikt. Denn anstatt mit ihnen zu konkurrieren und für den Schöpfer eine transzendente ‘Sonderwirklichkeit jenseits der Weltwerdeprozesses’ einzufordern, sind ihre Aussagen vom Stand der Forschung unabhängig, da sie Schöpfung als immanente (naturalistisch beschreibbare) Entwicklung einer ‘einheitlichen Weltwirklichkeit’ begreifen, womit der ‘Gegensatz von Transzendenz und Immanenz, (…) von Theismus und Pantheismus [Naturalismus] aufgehoben wird’ (so der Theologe Daecke 2001).“ Man beachte, dass dem Schöpfer nicht einmal eine „Sonderwirklichkeit jenseits des Weltwerdeprozesses“ eingeräumt wird (zusätzlich zur vorher schon gemachten Feststellung, dass ein souveränes Eingreifen ausgeschlossen wird).
Weiter Neukamm: „Die Tatsache, dass die Naturwissenschaften ‘keinen göttlichen Fuß in der Tür gestatten können’ (selbst dann nicht, wenn es ihn gäbe!), ist demnach weder Ausdruck einer kategorischen Verneinung der Existenz einer ‘Übernatur’, noch das Symptom einer dogmatischen Verkrustung der Wissenschaft, wie dies Lennox (…) beklagt, sondern schlichtweg Ausdruck methodologischer Notwendigkeit“ (Neukamm 2004, 14). Das heißt: Selbst wenn es Gott gäbe, könnte die Wissenschaft nach Auffassung von Neukamm nicht gestatten, dass ein Wirken Gottes in irgendeiner Weise Abläufe in der empirisch erfassbaren Welt tangiert. Das gilt auch, wenn es um den „Urgrund allen Seins“ geht (s. o.). Unter diesen Umständen ist Neukamms Aussage, dass die Existenz einer „Übernatur“ nicht verneint werde (s.o.) faktisch leer.
Angesichts dieser Sachlage verwundert es nicht, dass die Evolutionsbiologen einen Link auf die Homepage von Gerd Lüdemann setzen. Lüdemann ist ein Theologe, der sich zum Atheismus gewendet hat. Auf seiner Homepage finden sich keine Ausführungen zu evolutionstheoretischen Themen. Der Link darauf muss also andere Gründe haben. Diese liegen auf der Hand.
Jochem Kotthaus (2003). Kotthaus geht in seinem kreationismuskritischen Buch „Propheten des Aberglaubens“ auf Fragen des Glaubens in einem evolutionistischen Weltbild ein. Er lässt öfter (eher zwischen den Zeilen) erkennen, dass für ihn in irgendeiner Weise Gott existiert; er argumentiert nicht allgemein gegen Religiosität. Seine eigene Sicht legt er zwar nicht explizit dar, einiges davon kommt aber in manchen Formulierungen zum Ausdruck. So vertritt er an zahlreichen Stellen eine strikte Trennung von Glauben und Wissen (S. 17), wobei Glaube sich nach Kotthaus wohl nur auf die Innerlichkeit der eigenen Psyche beschränkt (S. 24). Für rein (natur)wissenschaftliche Überlegungen spiele es „keine Rolle, ob Gott die Welt, das Leben und den Menschen in einem gewaltigen Akt schuf“ (S. 146). Dem ist zuzustimmen. Seiner Auffassung nach können wir über Gott nichts wissen: „Wenn Gott existiert, dann ist er unfassbar“ (S. 146); wir könnten seine Natur nicht verstehen. Das ist insofern richtig, als dass die naturwissenschaftliche Methode ungeeignet ist, das Wirken Gottes unter experimentellen Bedingungen zu studieren. Wenn Gott die Welt jedoch geschaffen hat, dann ist es möglich, dass die naturwissenschaftlich zugängliche Struktur der Welt indirekte Rückschlüsse auf planvolles Wirken eines Gottes zulässt, auch wenn diese Rückschlüsse an sich nicht naturwissenschaftlicher Art sind.
Theologisch gesehen lässt Kotthaus’ Position außer acht, dass Gott sich geoffenbart hat, abschließend und alles überbietend in Jesus Christus. Unausgesprochen lehnt Kotthaus damit jede Offenbarung ab; anders können seine Formulierungen nicht verstanden werden. Dazu passt, dass es für ihn Aberglaube ist, wenn Christen auf Erhörung persönlicher Gebete hoffen oder glauben, dass Gott in persönlicher Not hilft (S. 16). Kurz: Gottes Handeln findet bei Kotthaus in der Welt keinen Platz.
Ulrich Kutschera (2004). Kutschera ist Sprecher der AG Evolutionsbiologie sowie einer der Vizepräsidenten des Verbandes deutscher Biologen. In einem bemerkenswerten Beitrag befasst er sich mit dem Pfingstwunder und dem Heiligen Geist. Er zitiert darin aus einem Kirchenblatt: „Alles, was ist, ist nicht aus sich selbst heraus, sondern verdankt sich einer Kraft, die ins Dasein ruft und im Dasein erhält. Diese schöpferische Kraft wird Geist Gottes genannt.“ Dazu bemerkt Kutschera: Theorien, die z. B. auf biblischen Wundern (göttlichen „Schöpfungsakten“) basieren, sind nicht als wissenschaftlich einzustufen, da die bewusste methodische Beschränkung des Naturforschers (und -denkers) hier aufgehoben werde: die „Schöpfungstheorien“ seien pseudowissenschaftliche Konstrukte christlich-religiöser „Theo-Biologen“.
Die moderne Evolutionsforschung habe eindeutig gezeigt, dass der Spezies Homo sapiens keine biologische Sonderstellung im Reich der Organismen zukomme. „Diese durch Dokumente (Fossilfunde) und Experimente (DNA- und Protein-Sequenzanalysen) belegte Tatsache steht im Widerspruch zur postulierten (geglaubten) Sonderstellung unserer Spezies.“ Das christliche Glaubensdogma von der „göttlichen Sonderstellung“ unserer Spezies sei somit durch objektive Fakten widerlegt; bereits Charles Darwin habe in seinen Werken diese Schlussfolgerung gezogen.
Kutschera schlussfolgert: „Aus dem Gesagten folgt, dass die Evolutionsforschung (u. a. die historische Rekonstruktion von Abstammungsreihen) im christlichen Sinne ‘geistlos’ ist, da gemäß dem Prinzip des Naturalismus die Natur aus sich selbst heraus erklärt wird, ohne Einbeziehung supranaturalistischer Götter, Geister oder Designer.“ Mit anderen Worten hat auch bei ihm ein souverän agierender Schöpfer, der in den Lauf der Dinge eingreifen und vor allem die Welt durch sein Wort auf übernatürliche Weise erschaffen hat, keine Existenzberechtigung.
Selbst Papst Johannes Paul II., der Evolution als „mehr als eine Hypothese“ bezeichnet hat, wird von Kutschera herb kritisiert: Johannes Paul II. habe nicht die naturalistische Evolution akzeptiert, sondern eine theistische Variante der Evolutionsanschauung; „von einer Akzeptanz der naturalistischen (,geistlosen‘) Denkweise des modernen Evolutionisten ist er weit entfernt.“ Kutschera erkennt richtig: „Das wird sich auch nicht ändern, da die Katholiken durch Akzeptanz des Naturalismus ihre Glaubensbasis aufgeben müssten.“ Er beklagt, dass viele Menschen noch immer an „Schöpfungsakte des biblischen Gottes bzw. des „Intelligenten Designers“ glauben. „Dieses Faktum belegt, dass die ,geistlosen‘ Evolutionisten noch viel Aufklärungsarbeit vor sich haben.“ Diese Aussagen Kutscheras zeigen zunächst, dass er das Zeugnis von Gott als Schöpfer in aller Deutlichkeit ablehnt, selbst dann, wenn man annehmen würde, der Schöpfer habe auf dem Wege einer allgemeinen Evolution das Leben hervorgebracht. Das ist eine begrüßenswert klare Aussage und als persönliche Überzeugung zu respektieren. Die notwendige Aufklärungsarbeit der Evolutionsbiologen besteht laut Aussage ihres Vizepräsidenten nun aber offenkundig darin, schöpfungsgläubige Menschen durch Vermittlung eines konsequent evolutionistischen Weltbildes von der Unhaltbarkeit ihrer Glaubensbasis zu überzeugen. Auch das gehört selbstverständlich zur Ausübung der Meinungsfreiheit in unserem Land. Allerdings kann man sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass diese Bemühungen den missionarischen Bestrebungen nicht unähnlich sind, welche die meisten Religionen auszeichnen.
Literatur
- KOTTHAUS J (2003)
- Propheten des Aberglaubens. Münster.
- KUTSCHERA U (2004)
- Methodischer Naturalismus und geistlose Evolutionsforschung. www.giordano-bruno-stiftung.de/Archiv/kutschera1.pdf (PDF nicht mehr verfügbar, Stand 16.7.2019)
- NEUKAMM M (2004)
- Kreationismus und Intelligent Design: Über die wissenschaftsphilosophischen Probleme von Schöpfungstheorien. www.martin-neukamm.de/kreation.pdf (Version vom 12. 10. 2004)
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- Die Internettexte sind auf www.evolutionsbiologen.de verlinkt.