Lehrt die Bibel eine junge Schöpfung?
Anhand biblischer heilsgeschichtlicher Zusammenhänge wird aufgezeigt, welche Folgerungen sich aus der Heilslehre des Neuen Testaments für das Verständnis der Menschheits-, Organismen- und Kosmosgeschichte ergeben. Aufgrund des Zusammenhangs von Adam und Christus muß die Menschheitsgeschichte in einen kurzen Zeitrahmen gestellt werden. Aufgrund der Verbindung der Menschheit mit der außermenschlichen Schöpfung spricht vieles dafür, daß der Kurzzeitrahmen auch für die gesamte Kosmosgeschichte gilt. Für die Schöpfungsforschung ergibt sich daraus die Aufgabe, empirische Daten in diesem Geschichtsrahmen zu deuten.
Inhalt
- 1. Schritt: Die biblische Heilslehre kann nur vor dem Hintergrund eines globalen Unheils verstanden werden
- 2. Schritt: Durch Adam kamen Sünde und Tod in die Welt
- 3. Schritt: Fossilien als Zeugnisse gewaltsamen Todes sind keine Zeugnisse des Schöpfungshandelns Gottes
- 4. Schritt: Der zeitliche Rahmen der Menschheitsgeschichte beläuft sich in der Größenordnung von Jahrtausenden
- 5. Schritt: Folgerungen aus dem Schöpfungsbericht
- 6. Schritt: Liegt vor dem „Tag Eins“ eine unbestimmte Zeitspanne? („Lückentheorie“)
- Schlußfolgerungen
Evolutionsforschung verfolgt das Ziel, die Geschichte des Kosmos und den Organismenwandel vollständig durch naturgesetzliche Vorgänge zu erklären. Eine nach ihren Ursachen innerweltlich vollständig verstehbare Evolution würde aber keinen Raum für ein souveränes Schöpfungshandeln Gottes lassen; Gott könnte höchstens als Garant für die „Gesetze der Evolution“ angesehen werden. Dies hat zur Folge, daß grundlegende Inhalte der biblischen Schöpfungslehre, aber auch der Heilslehre, Gotteslehre und Eschatologie (Lehre von den zukünftigen Dingen) nicht mehr aufrechterhalten werden können.1
Die biblische Heilsgeschichte läßt daher keinen Platz für eine konsequente Evolutionsanschauung. Folgt aber aus der Abkehr von der Evolutionslehre gleichzeitig die Ablehung großer, Jahrmillionen währender Zeiträume, die für eine organismische und kosmische Evolution benötigt werden? Oder ist es vielleicht möglich, eine in Jahrtausenden oder in Generationen bemessene Menschheitsgeschichte in eine zeitlich beliebig lange Organismen- oder Kosmosgeschichte einzubetten?
Zu diesen Fragen sollen Auslegungsspielräume relevanter biblischer Texte aufgrund biblischer Zusammenhänge ausgelotet werden. Ausgangspunkt sind die zentralen neutestamentlichen Aussagen über das Erlösungswerk Jesu Christi. In sechs Schritten soll erarbeitet werden, welche Spielräume die biblische Heilsgeschichte für die Rekonstruktion der Menschheits-, Erd- und Kosmosgeschichte läßt, insbesondere für deren zeitlichen Umfang.
Schöpfungsforschung als Alternative zur Evolutionslehre wird oft als unnötige oder allenfalls zweitrangige Aufgabe betrachtet. Demgegenüber soll anhand biblischer Zusammenhänge aufgezeigt werden, daß an testbaren Alternativen zur Evolutionslehre und zu Langzeitmodellen gearbeitet werden muß. Dies geschieht in sechs aufeinander aufbauenden Schritten. Der Leser kann Schritt für Schritt prüfen, ob er weiter folgen kann. Wird einer der Schritte verneint, erübrigen sich die folgenden.
Absicht ist es, Christen herauszufordern, über eigene Möglichkeiten nachzudenken, sich in der gewaltigen Aufgabe einer biblisch fundierten Wissenschaft in Forschung und Lehre einzubringen. Zumindest soll Verständnis für die Bedeutung und Notwendigkeit dieser Arbeit geweckt werden.
1. Schritt: Die biblische Heilslehre kann nur vor dem Hintergrund eines globalen Unheils verstanden werden
Das Neue Testament spricht allenthalben von Verlorensein und von verlorenen Sündern. Jesus Christus ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist (Luk 19,10). Er ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt (Joh 1,29). Paulus schreibt den Ephesern, daß sie tot waren in ihren Sünden und Verfehlungen, bevor sie Christus angenommen haben (Eph 2,1). Im Römerbrief werden die mit Gott unversöhnten Menschen als Feinde Gottes bezeichnet (Röm 5,8). Die Menschen sind nicht so, wie Gott sie will. Weshalb ist das so? Hat Gott die Menschen so geschaffen? Hat er sie als Sünder, als Unerlöste, als Unversöhnte, als Feinde, als Verlorene, als geistlich Tote erschaffen? Wenn Gott den Menschen durch Evolution geschaffen hat, sehe ich keine Möglichkeit, um die Bejahung dieser Frage herumzukommen. Hat Gott den Menschen durch evolutive Abwandlung aus dem Tierreich erschaffen, dann kleben ihm diese Eigenschaften bzw. diese Seinsweisen an, ohne daß der Mensch willensmäßig irgendwie beteiligt gewesen wäre. Machen wir uns klar, was aus einer evolutiven Abstammung des Menschen aus dem Tierreich folgt: Nicht nur körperliche Merkmale, sondern auch Verhaltensweisen, Erkenntnisvermögen, ethische Normen, soziale Lebensformen und religiöse Vorstellungen evolvieren. Es ist biologisch undenkbar, diese Aspekte voneinander zu trennen. (Die Bibel trennt sie übrigens auch nicht, wie aus unzähligen Stellen in der Heiligen Schrift indirekt hervorgeht.) Daraus folgt: Ein durch Evolution schaffender Gott ist für die Sünde des Menschen und alle ihre Begleiterscheinungen wie auch den Tod verantwortlich. Dann aber ist ein stellvertretender Sühnetod Jesu sinnlos (vgl. dazu den Hebräerbrief, insbesondere 2,14 und Kap. 8-10).
2. Schritt: Durch Adam kamen Sünde und Tod in die Welt
Das Unheil, von dem im ersten Schritt die Rede war, kam durch den ersten Menschen, Adam, in die Welt. „Wie also durch einen einzigen Menschen die Sünde in die Welt kam und durch die Sünde der Tod . . .“ (Röm 5,12ff.). An dieser Stelle befindet sich eine entscheidende Weichenstellung. In „Leben durch Sterben?“2 wird eine ausführliche Exegese zu dieser Textstelle durchgeführt. In unserem Zusammenhang sind die folgenden Ergebnisse wesentlich:
1. Mit Adam ist eine historische Person gemeint. Adam wird Jesus Christus als Person gegenübergestellt, und die Taten Adams und Jesu Christi entsprechen einander in gewisser Weise.
2. Der Tod ist ganzheitlich zu verstehen; der leibliche Tod ist eingeschlossen; dies wird durch den Verweis auf den Tod von Adam bis Mose V. 14 besonders deutlich. Aber nicht nur aus dieser Textstelle ergibt sich diese Schlußfolgerung, sondern grundsätzlicher aus der Tatsache, daß Jesus Christus den leiblichen Tod erlitten hat als Sühne für die Sünde der Menschheit, und daß er leibhaftig auferstanden ist. Diese Tatsachen werfen Licht auf den Tod als Sündenfolge: Da Jesus leiblich den stellvertretenden Sühnetod erlitten hat, ist mit dem Tod als Sündenfolge auch der leibliche Tod gemeint.
3. Der Tod kam in den „Kosmos“. Ob damit, wie die viele Ausleger meinen, nur die „Menschenwelt“ gemeint ist, halte ich von Röm 5,12ff. her für nicht sicher entscheidbar und bleibt an dieser Stelle daher zunächst noch offen. Es kann aber festgehalten werden, daß ein evolutionär entstandener Mensch nie vom (leiblichen) Tod befreit war. Außerdem kann in einer evolutionären Welt kein sündloser Urzustand des Menschen verwirklicht gewesen sein. Folglich ist eine evolutionäre Entstehung des Menschen aus dem Tierreich biblisch geurteilt ausgeschlossen. Damit ist aber gleichzeitig eine Evolution anderer Organismen unplausibel. Denn sonst wäre anzunehmen, daß der Mensch durch Gottes Schöpfung in eine evolutionäre Welt gleichsam als Fremdkörper hineingestellt worden wäre. Dazu kommt nun aber, daß sowohl nach dem Schöpfungsbericht (1 Mose 1,1-2,3) als auch nach dem Paradiesbericht (1 Mose 2,4-25) der Mensch nicht nur in Beziehung mit der übrigen Schöpfung steht, sondern das wichtigste Schöpfungswerk ist. Eine von der übrigen Organismengeschichte losgelöste Menschenschöpfung ist daher unglaubhaft.
Das bisher Gesagte wird durch Römer 8,19-22 weiter unterstützt. Wie in „Leben durch Sterben?“3 ausführlich begründet, besagt der Text, daß die Vergänglichkeit der ganzen Schöpfung ein sekundäres Kennzeichen der Schöpfung ist – ausdrücklich ist hier die außermenschliche Schöpfung eingeschlossen (was in Röm 5,12ff. offengehalten werden mußte). Eine nachträglich verhängte Vergänglichkeit und davon bedingtes Seufzen der Schöpfung und sehnsüchtiges Harren auf Befreiung von diesem Zustand paßt nicht zur Evolutionslehre, da sie dieses Seufzen von Anfang an voraussetzt.
Schließlich kommt als generelles biblisch vielfach begründetes Argument hinzu, daß der Tod kein Mittel, aber auch keine „Randerscheinung“ und kein „Nebeneffekt“ des schöpferischen Wirkens Gottes sein kann. Kurzum: Der Tod in der ganzen Schöpfung ist nicht auf Gottes Schöpfungshandeln zurückzuführen, sondern auf sein Gerichtshandeln angesichts der Sünde des Menschen. Daraus folgt: Eine biologische Phase der Evolution ist mit der biblischen Heilslehre nicht vereinbar. (Ob eine planetare und kosmische Evolution dennoch möglich sind, soll weiter unten diskutiert werden.)
Aus diesen Zusammenhängen folgen Konsequenzen für die Bewertung des Fossilberichts, und daraus wiederum ergeben sich indirekt, aber doch folgerichtig Auswirkungen auf die Frage des Alters zumindest der organischen Schöpfung. Im folgenden soll dieser Zusammenhang entwickelt und erläutert werden.
3. Schritt: Fossilien als Zeugnisse gewaltsamen Todes sind keine Zeugnisse des Schöpfungshandelns Gottes
Fossilien sind Zeugnisse vergangenen Lebens. Als solche sind sie Zeugnisse der Schöpfung. Sie sind aber auch Zeugnisse eines gewaltsamen Todes. Fossilien sind Belege von Gewalt. Tod und Gewalt (mindestens in der Tierwelt und beim Menschen) verweisen aber nicht auf Schöpfung, sondern auf ein göttliches Gericht. In den vorigen Abschnitten haben wir festgehalten, daß der Tod auch in der außermenschlichen Schöpfung in biblischer Diagnose Folge des Sündenfalls des Menschen ist. Durch die Sünde wurde die gesamte Schöpfung in die Knechtschaft der Vergänglichkeit hineingezogen. Damit ist die Existenz von Fossilien Ausdruck der Sünde in der Welt. Da aber erst mit dem Menschen die Sünde in die Welt kam, muß die Bildung derjenigen Schichtgesteine, die Fossilien bergen, nach der Erschaffung des Menschen angesetzt werden. Dazu kommt, daß man auch unter den Fossilien zahlreiche räuberische oder parasitisch lebende Organismen kennt. Sie ernähren sich nicht so, wie es im Schöpfungsbericht für die ursprüngliche Tierwelt beschrieben wird. Danach war den Tieren wie auch dem Menschen nämlich pflanzliche Nahrung zugewiesen (1 Mose 1,29f.). Die räuberische und parasitische Lebensweise muß daher als nachträglich angesehen werden, als Folge der Sünde. (Einige damit verbundene theologische und biologische Fragen werden in „Sündenfall und Biologie“4 behandelt.)
Aus diesen Überlegungen folgt: Schöpfungsforschung steht vor der gewaltigen Aufgabe, die Fossilüberlieferung zumindest ab dem Kambrium in den zeitlichen Rahmen der Menschheitsgeschichte zu stellen und in diesem Rahmen zu deuten. Damit stellt sich vorrangig die Aufgabe, die übliche „geologische Zeit“ von einigen Hundert Millionen Jahren in eine vergleichsweise sehr bescheidene zeitliche Dimension zu „übersetzen“. Ich sehe keine Möglichkeit, wie eine der biblischen Überlieferung verpflichtete Forschung sich dieser Aufgabe entziehen könnte, ohne biblische Inhalte preiszugeben.
Ob und wie vor der Menschenschöpfung größere (vielleicht beliebige) Zeiträume angesetzt werden können, soll weiter unten bedacht werden. Zunächst soll in einem vierten Schritt der zeitliche Rahmen der Menschheitsgeschichte abgesteckt werden.
4. Schritt: Der zeitliche Rahmen der Menschheitsgeschichte beläuft sich in der Größenordnung von Jahrtausenden
Zunächst sei vermerkt, daß dieser Zeitrahmen aufgrund des im 3. Schritt Dargelegten auch für die Tierwelt gilt, mindestens für die fossil überlieferte. Im 2. Schritt wurde gezeigt, daß die Achse Adam – Christus für die Botschaft des Neuen Testaments wesentlich ist. Jesus Christus kommt als Erlöser in die von Adam herkommende Menschheitslinie, die seit Adam unter der Macht der Sünde steht. Es ist nun – noch abgesehen von den biblischen Geschlechtsregistern – schlecht möglich, zwischen den Einbruch der Sünde in die Welt durch Adam und der Erlösungstat durch Jesus Christus einen unüberschaubaren Zeitraum zu legen. Dazu kommt noch, daß sowohl in der biblischen Urgeschichte (1 Mose 1-11) und im 1. Chronikbuch, als auch in den Evangelien Geschlechtsregister überliefert sind. Dabei handelt es sich keineswegs um unbedeutende Anhängsel. Da sie teilweise verkürzt wiedergegeben sind (z. B. Mt 1), mag ein Auslegungsspielraum darin bestehen, ob auch die ausführlichsten Geschlechtsregister vollständig oder lückenhaft sind. „Er zeugte . . .“ kann sich auch auf einen ferneren Nachkommen beziehen. Aber selbst wenn Überlieferungslücken vorliegen sollten, erlauben die Geschlechtsregister keine beliebig große zeitliche Ausdehnung, wenn sie nicht ad absurdum geführt werden sollen. Die Menschheitsgeschichte ist damit in der Größenordnung von Jahrtausenden zu bemessen. R. Wiskin geht in seinem Werk „Die Bibel und das Alter der Erde“ auf diese Frage ausführlich ein, so daß zur näheren Begründung auf diese Arbeit verwiesen werden soll.
H. W. Beck hat als „maximales anthropisches Prinzip“ den für heutige Ohren provozierenden Satz formuliert: „Es gibt keine Geschichte ohne den Menschen.“ Denn: „Nach dem Zeugnis der Urgeschichte wird Geschichte an die Struktur von Geschlechterfolgen gebunden.“5 Zur Verdeutlichung können wir die Gegenfrage stellen: Gestaltet Gott eine Jahrmilliarden Jahre währende Kosmosgeschichte ohne den Menschen? Umfaßt die Menschheitsgeschichte nur die letzten Sekunden der Weltenuhr? In einem der beliebten Vergleiche ausgedrückt: Entspricht ihr zeitlicher Umfang gerade der Lackschicht auf der Spitze des Eiffelturms im Vergleich zur Höhe des Turms?6 Zu bedenken ist hier auch, daß nach dem Zeugnis des Neuen Testaments das Ende der Geschichte (auch der Menschheit) an die Erfüllung des Missionsauftrages und damit an die Menschheitsgeschichte gebunden ist. Das gibt auch bezüglich des Anfangs der Menschheit zu denken, zumal die Bibel manche Entsprechungen zwischen dem Anfang und dem Ende zeichnet: auch der Anfang ist an die Menschheitsgeschichte gebunden.
5. Schritt: Folgerungen aus dem Schöpfungsbericht
Im Schöpfungsbericht (1 Mose 1,1-2,3) wird die Erschaffung der sichtbaren Welt auf 6 „Tage“ verteilt. Der Kontext läßt kaum eine andere Auslegung als normale „Erlebnistage“ zu.7 Daraus folgt eine annähernde Gleichzeitigkeit der Erschaffung des Kosmos (s. u. und den 6. Schritt), der Erde, der Pflanzen, der Tiere und des Menschen.
Obwohl ein Auslegungsspielraum der Schöpfungstage im Sinne unbestimmter Zeiträume nicht ersichtlich ist, sei dieses Verständnis einmal zur Disposition gestellt. Welcher zusätzliche Deutungsspielraum für die Rekonstruktion der Organismen- und Kosmosgeschichte würde gewonnen, wenn mit den Schöpfungstagen unbestimmte Zeiträume gemeint wären? Für die Paläontologie würde nicht viel gewonnen. Die fossilführenden geologischen Systeme könnten jedenfalls aufgrund des im 3. Schritt Gesagten nicht in diese unbestimmten Zeiträume verlegt werden (Fossilien als Zeugnisse des Todes). Genau diese Systeme bereiten der Schöpfungslehre aber besondere Erklärungsschwierigkeiten. Beispielsweise fällt in die Zeit ihrer Bildung die Plattentektonik mit ihren Folgephänomenen. Es bleibt damit die Aufgabe, dieses Geschehen in einem Kurzzeitrahmen (entsprechend dem 4. Schritt) zu interpretieren. Man könnte sich allenfalls damit behelfen, daß die Tier- und Pflanzenwelt, die vor dem Menschen erschaffen wurde (3., 5. und 6. Tag), keine fossilen Spuren hinterlassen hat. Für die Deutung der tatsächlich vorliegenden Fossilüberlieferung bringt das aber nichts.
Man beachte hier außerdem folgenden Zusammenhang: Wollte man die Tage symbolisch verstehen und eine „beliebig lange“ kosmische Evolution der Erschaffung des Menschen vorschalten, müßte konsequenterweise auch die Erschaffung der Tiere der Erschaffung des Menschen vorgeschaltet werden (naheliegenderweise mit den entsprechenden Zeiträumen). Damit nähern wir uns fast unausweichlich der Evolutionslehre an. Denn niemand wird annehmen wollen, daß es vor der Erschaffung des Menschen und dem Sündenfall während Hunderten von Millionen Jahren eine „heile“ Tierwelt gegeben hat, in die dann erst mit dem Sündenfall der Tod eingebrochen wäre.
Mit der Eröffnung der Möglichkeit einer großen Zeitspanne an sich ist in den Biowissenschaften (einschließlich der Paläontologie) für eine der biblischen Überlieferung verpflichtete Rekonstruktion nichts gewonnen. Denn in der säkularen Wissenschaft werden diese Zeiträume mit einem ganz bestimmten Inhalt gefüllt, nämlich mit der Evolution der Organismen. Lange Zeiträume sind mit dem Evolutionsparadigma verbunden. Es geht nicht einfach um Zeit an sich, sondern um ihre „inhaltliche Füllung“.
In den Geowissenschaften dagegen könnten Langzeitdeutungen dann evtl. möglich sein, wenn geologische Phänomene von der Organismengeschichte abgekoppelt werden können (was aber oft nicht der Fall ist).
Was wird in der Kosmologie gewonnen? Im Unterschied zur Biologie und Paläontologie ist die Kosmologie nicht mit dem Phänomen des Todes konfrontiert. (Das „Sterben“ von Sternen betrachten wir dabei nur als eine Metapher.) Hier könnte tatsächlich die gewonnene Zeit zusätzliche Deutungsspielräume schaffen. Allerdings treten bei einem kosmischen Evolutions-Szenario neue Ungereimtheiten mit der Tatsache auf, daß der Kosmos die in Sonne, Mond und Gestirne gegliederte Gestalt erst am 4. Schöpfungstag, nach der Erschaffung der Pflanzen erhielt. Ein der biblischen Überlieferung verpflichteter Ausleger wird darüber nicht einfach hinweggehen können. Hier bliebe nur noch die Möglichkeit, das 6-Tage-Schema in jedweder Form und die darin angegebene Reihenfolge als irrelevant zu betrachten. Wir wären damit schon sehr nahe bei den bibelkritischen Vorstellungen, wonach der Schöpfungsbericht Ausdruck einer veralteten Weltsicht ist, aus dem die „eigentliche“ theologische Aussage durch komplizierte hermeneutische Verfahren erst herausdestilliert werden muß. Den Aussagen der Heiligen Schrift würde man damit nicht gerecht.
6. Schritt: Liegt vor dem „Tag Eins“ eine unbestimmte Zeitspanne? („Lückentheorie“)
Manche Ausleger sehen einen zeitlichen Spielraum vor der Erschaffung des Lichts, nachdem Himmel und Erde geschaffen waren (1 Mose 1,1), und berufen sich auf die Übersetzungsmöglichkeit „Die Erde wurde wüst und leer“ (während eines unbestimmten Zeitraums) sowie auf theologische Überlegungen („wüst und leer“ sei Ausdruck des Gerichts; Gott würde keine „Wüste und Leere“ schaffen). Diese Auslegung stößt jedoch auf schwerwiegende exegetische Hindernisse. Auf die Argumente wird an anderer Stelle ausführlich eingegangen.8 Dennoch soll auch hier – ähnlich wie im 6. Schritt – gefragt werden, ob eine zeitliche Lücke vor der Vollendung des 1. Schöpfungstages neue Deutungsspielräume für Kosmologie, Geowissenschaften und Biologie bringen würde.
Zunächst zur Paläontologie: Die Problematik der Deutung der Fossilüberlieferung bleibt auch im Rahmen der Lückentheorie. Es wäre damit kein Schlüssel zum Verständnis des regelhaften Musters der Fossilüberlieferung gewonnen (Warum finden sich Meeresorganismen in tieferen Schichten, Säugetiere und Vögel in höheren Schichten? usw.). Sollte man annehmen, daß in der postulierten zeitlichen Lücke eine Evolution der Organismen abgelaufen sei? Die Erklärungsprobleme blieben also bestehen (zumindest wenn man Evolution als Ursache für die Fossilreihenfolge ablehnt). Dazu kommt eine zweite Konsequenz: Wollte man die Fossilüberlieferung mit ihren Zeugnissen des Todes in diese Lücke verlegen, müßte also die vermeintliche „Wiederherstellung“ (1 Mose 1,2-31) zu einer Zeit erfolgt sein, als die fossilführenden Schichten bereits größtenteils gebildet waren. Erst danach wäre die Sintflut abgelaufen. Sie hätte dann offenbar keine nennenswerten geologischen Spuren auf der Erdoberfläche hinterlassen.
Für die Kosmologie würde die Lücke dagegen neue Spielräume schaffen, ohne daß man sich neue Fragen einhandeln würde. Dennoch: Die Lückentheorie ist exegetisch aus dem Text nicht abzuleiten, sie kann allenfalls in ihn hineingelesen werden.
Schlußfolgerungen
Es sollte deutlich gemacht werden, daß die Akzeptanz der biblischen Überlieferung Konsequenzen beinhaltet, unter welchen Leitvorstellungen historische Wissenschaften betrieben werden. Weil Gott der Herr der Geschichte ist, wie in der ganzen Bibel bezeugt wird, kann es keine „neutrale“ Geschichtswissenschaft geben. Aufgrund des Zusammenhangs von Erschaffung, Sündenfall, Tod und Erlösung stehen zentrale biblische Aussagen Evolutionsanschauungen, konsequent durchdacht, entgegen. Da Fossilien Zeugnisse eines gewaltsamen Todes sind, müssen sie in die Geschichte nach dem Sündenfall des Menschen gestellt werden. Daraus ergibt sich für die Deutung der Fossilüberlieferung und damit für die Deutung wesentlicher Abschnitte der Erdgeschichte ein zeitlich kurzer Rahmen.
Literatur
- Dies wird ausführlich dargestellt in R. Junker: Leben durch Sterben? Schöpfung, Heilsgeschichte und Evolution. Berlin: Pascal-Verlag, 1993.
- Leben durch Sterben, S. 109ff.??
- S. 116ff.
- R. Junker: Sündenfall und Biologie. Neuhausen-Stuttgart: Hänssler-Verlag, 1993.
- H. W. Beck: Genesis. Neuhausen, 1983, S. 33; vgl. H.W. Beck: Christlicher Schöpfungsglaube im Kontext heutiger Wissenschaft. Weilheim, 1993, S. 40f.
- S. J. Gould: Die Entdeckung der Tiefenzeit. München: Carl Hanser Verlag, S. 14. (Der dort zitierte Vergleich stammt von Mark Twain.)
- Dies wird ausführlich begründet in R. Wiskin: Die Bibel und das Alter der Erde. Neuhausen-Stuttgart: Hänssler-Verlag, 1994.
- Die Bibel und das Alter der Erde (Anm. 7); vgl. Leben durch Sterben (Anm. 1), S. 157f.