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Christlicher Schöpfungsglaube im Kontext heutiger Wissenschaft



Bericht von einer interdisziplinären Kolloquiumsreihe im Sommersemester 1991 an der Universität Karlsruhe

An der Universität Karlsruhe fand im Rahmen des seit 1980 bestehenden Lehrauftrages Grenzfragen zwischen Theologie und Naturwissenschaft von Prof. Dr. Ing. Dr. theol. Horst W. Beck eine interdisziplinäre Veranstaltungsreihe in Form von Open-End Kolloquien statt. Die Veranstaltungen stießen auf großes Interesse; der Hörsaal war immer gefüllt, einige Male überfüllt. Die angebotenen Themen bewegen offenbar viele Studenten. Während des Semesters kamen verschiedene Positionen zur Sprache, wobei die schöpfungswissenschaftliche Seite breit und deutlich zu Wort kommen konnte. Dabei wurde durchaus hart, aber meist fair diskutiert; es fand eine echte Auseinandersetzung statt – keine Selbstverständlichkeit, wenn schöpfungstheoretische Positionen explizit zur Sprache kommen.

Die Reihe eröffnete Prof. Horst W. Beck mit einem einführenden Referat zum Thema Der wieder entflammte Disput um die Evolutionsanschauung. Beck machte anhand einiger Beispiele deutlich, daß die Evolutionslehre elementare Fragen der Biologie nicht beantworten kann. Befunde wie etwa die Wirkungsweise des Geißelmotors des Bakteriums Escherichia coli weisen auf Plan und Konzeption eines Schöpfers hin. Auch deuteten Ähnlichkeitsanalysen z. B. von Sequenzmustern von Makromolekülen an, daß es unterscheidbare Einheiten von Lebensformen gebe, was den Postulaten der Schöpfungslehre entspreche. Die Diskussion um Evolutions- und Schöpfungsanschauungen könne offen geführt werden.

In dem zweiten Vortrag über Offenheit – Abgrenzung – Pluralität befaßte sich der Karlsruher Technikphilosoph und Wissenschaftstheoretiker Prof. Dr. Helmut F. Spinner mit dem Problem der Abgrenzung von Wissenschaft und Nichtwissenschaft. Spinner bemerkte zunächst hierzu, daß es dabei nicht um Sinn und Unsinn von Aussagen gehe, sondern darum, was wissenschaftliche Aussagen seien. Wissenschaft versuche, größtmögliche Allgemeinheit mit größtmöglicher Genauigkeit zu verbinden. In diesem Spannungsfeld geschehe Theoriebildung und „unsere Art von Wissenschaft“. Alternative Wissenschaften seien im Prinzip möglich, nicht nur Alternativtheorien innerhalb der „normalen Wissenschaft“.

Was geschieht bei Konflikten zwischen Theorie und Erfahrung? Nach Karl Popper ist in diesem Fall die Theorie falsifiziert (widerlegt) und muß modifiziert oder verworfen werden. Demgegenüber betont Paul Feyerabend, daß Falsifikation sich nur auf Einzeltheorien beziehe. Die Betrachtung von Einzeltheorien sei aber im Wissenschaftsbetrieb unrealistisch. Es gehe immer um ein Theorienbündel, Theorien mit Hilfshypothesen und Randbedingungen. Widersprüche würden auf die Hilfshypothesen oder die Randbedingungen abgelenkt. Zu jeder Theorie gebe es nach Feyerabend falsifizierende Daten (die „Leichen im Keller“, sog. „Anomalien“). Die Sache würde erst dann problematisch, wenn sich die Anomalien häufen. Es sei ein Problem, daß theoriekonforme Information gegenüber inkonformen Informationen bevorzugt würde (nach Popper ist das Sünde der Wissenschaft).

Auch Thomas S. Kuhn stellte fest, daß der Wissenschaftler gerade nicht das falsifizierende Geschäft der Widerlegung betreibe. Dies geschehe erst in Krisenphasen bei Anomalienhäufungen; das seien dann außergewöhnliche, vorübergehende Phasen der Wissenschaft. Dagegen bestehe die normale Forschung in der Komplettierung und Präzisierung der vorhandenen Theorien; sie sei durch die Abwesenheit von Widerlegungsversuchen gekennzeichnet. Feyerabend schließt aus diesen Beobachtungen, daß ein Theorienpluralismus zu fordern sei. Es stehe dann Theorienbündel gegen Theorienbündel. Daher befürworte er auch eine Auseinandersetzung mit der „Schöpfungstheorie“ und fordere geradezu konsequente Alternativen.

In der Diskussion bemerkte Spinner, daß die Evolutionstheorie manchen Standards der Wissenschaft nicht entspreche, z. B. könne sie nicht prognostizieren; sie könne nur im Nachhinein erklären, und zwar scheinbar alles. Das dürfe Wissenschaft eigentlich nicht können. Dies sei damit seiner Meinung nach nicht anders wie bei der Schöpfung und deswegen sei er der Evolutionstheorie gegenüber skeptisch. Beck bemerkte hierzu, daß die Schöpfungstheorie beanspruche, Prognosen machen zu können. Wenn als Ausgangspunkt distinkte Entitäten (geschaffene Grundtypen) vorgegeben seien, ergebe sich daraus die Prognose, daß das Datenmaterial abgrenzbare Einheiten erweise.

Spinner wies darauf hin, daß ein Schöpfungsakt eine Singularität (Einmaligkeit) sei; als solche sei er nicht falsifizierbar. Singularitäten müssen daher in ein Geflecht falsifizierbarer Hypothesen eingebunden werden, damit sie in den Bereich von Wissenschaft gelangen. Die Prüfbarkeit von Theorien müsse nach Feyerabend und Lakatos erst erarbeitet werden. Das könnte man auch mit einer Schöpfungstheorie durchführen. Entscheidend sei dabei nicht die Hypothesenbildung, sondern der Hypothesenfortschritt. Die Schöpfungshypothese sei genausogut wie jede andere Hypothese, die Frage sei, ob man bei der ersten Hypothese stehenbleibt. Das wäre Abkehr von Wissenschaft.

Darwin im Computerzeitalter – Das Ende einer Illusion war das Thema des Biologen Prof. Dr. Wolfgang Kuhn aus Saarbrücken. Kuhn erläuterte, daß mit dem Erscheinen von Charles Darwins „Entstehung der Arten“ im Jahre 1859 der Gedanke einer Teleologie (Zielgerichtetheit) als endgültig zerstört angesehen wurde, wie Darwins Zeitgenosse Friedrich Engels besonders betonte. Erst jüngst hob der Zoologe Ernst Mayr in einem Artikel der FAZ vom 27. März 1991 hervor, daß Darwins größter Verdienst darin bestehe, daß der Glaube an eine kosmische Teleologie nicht mehr erforderlich sei. Teleologie deute nach Meinung von Kuhn immer auf eine Intelligenz hin und sei somit ein Stachel im Fleisch des Materialisten. In seinem Vortrag wandte sich der Referent jedoch gegen die Behauptung, daß allein der Zufall ausreichend sei, um die Entstehung und Entwicklung des Lebens zu erklären. Neben Materie und Energie trete als dritte Größe die Information. Dies belegte er anhand zahlreicher beeindruckender Dias, vor allem von Heuschrecken, Schmetterlingen und Libellen, die planvolle Konstruktionen im Tierreich belegten. Stellvertretend sei hier nur das Phänomen der Pterostigmata genannt. Dabei handelt es sich um erschwerte Stellen auf Libellenflügeln, die die gleiche Aufgabe erfüllen wie kleine Bleigewichte an den Felgen der Autoräder, nämlich bei rascher Bewegung ein seitliches Ausschlagen, die Unwucht, zu verhindern. Obwohl ein Libellenflügel in ca. tausend Felder unterteilt ist, sind die Pterostigmata auf jedem Flügel genau richtig plaziert. Diese Aufgabe übernimmt in der Technik ein Computer. Auf die Frage angesprochen, ob er aufgrund solcher Phänomene eine Evolution völlig ablehne, bemerkte Kuhn, daß er selbst am Entwicklungsgedanken im Sinne einer theistischen (göttlich gelenkten) Evolution festhalte, die Evolution selbst aber nicht bewiesen werden könne. Auch der schöpfungstheoretische Ansatz sei vertretbar. Faktisch hielten sich Zweifel und Belege, die für Evolution sprächen, für ihn die Waage. Es könne durchaus sein, daß er seine Position noch ändere.

Die Frage Schuf Gott durch Evolution? behandelten in der folgenden Runde gemeinsam Prof. Horst W. Beck und Reinhard Junker. Junker stellte das Grundtypmodell der Schöpfungslehre vor, mit dem über Evolutionskritik hinausgegangen wird, um eine Alternative zu ihr zu begründen. Er machte deutlich, daß die Grundtypidee zwar vom biblischen Zeugnis motiviert sei, jedoch auch aufgrund biologischer Daten nahegelegt werde. So wiesen Ergebnisse aus der Mutations- und Züchtungsforschung sowie Studien zur Wirkungsweise der Selektion darauf hin, daß die Geschichte der Lebewesen durch fortschreitende Verarmung der Genpools (= Summe aller Erbfaktoren einer Population oder Art) gekennzeichnet sei. In die Vergangenheit zurück gedacht ergebe sich so die Vorstellung, daß die heutigen relativ spezialisierten Arten auf unspezialisierte, variable Grundtypen zurückzuführen seien. Diese Grundtypen könnten mit den geschaffenen Arten identifiziert werden, von denen der biblische Schöpfungsbericht spricht. Dieses Konzept war für viele Hörer ganz neu, und es entwickelte sich eine lebhafte Diskussion. Dabei wurden die vorgetragenen Überlegungen nur wenig hinterfragt, jedoch wurde eine Anwendung des Grundtypkonzepts in anderen Bereichen der Biologie eingefordert, insbesondere der Zusammenhang des Grundtypkonzepts mit paläontologischen Daten – eine berechtigte Forderung, die jedoch eine eigene Veranstaltung mit einem entsprechend kompetenten Referenten erfordert hätte.

Anschließend an diesen Diskussionsteil nannte H. W. Beck theologische Gesichtspunkte, die eine Abkehr von der Evolutionsanschauung und die Suche nach Alternativen nahelegten. Er führte aus, daß die biblisch orientierte Schöpfungstheologie den Gang der Schöpfung durch die Zeit als ein planvolles Handeln des souveränen Schöpfers verstehe. Schöpfung sei „Heilsgeschichte“. Gott gewähre dem Menschen ein „Oikos“, eine Lebensumwelt. Das moderne Thema sei deshalb Ökologie. In der Ökologie als der Lehre von der Schöpfungsumwelt des Menschen werde die Lage des Menschen vor Gott verhandelt: Schöpfung – Fall – Erlösung. Evolutionstheorien könnten die zentrale Lage des Menschen in einer Schöpfung zum Heil nicht fassen.

In den beiden folgenden Sitzungen ging es um kosmologische Fragen. Gibt es einen absoluten Nullpunkt der Zeit? war das Thema von Prof. Dr. Bernulf Kanitscheider aus Gießen. Er erläuterte kosmologische Vorstellungen von der Antike bis heute. Mit der Einführung des Evolutionsgedankens entwickelte sich zwangsläufig eine ganze naturalistische Kosmogonie, da es Teil-Evolutionstheorien letztlich nicht gebe. Als überzeugter Naturalist gab Kanitscheider zu verstehen, daß er keinen Grund dazu sehe, eine „metaphysische Welt“ anzunehmen. Wer das tue, trage die Beweislast. Eine solche Welt sei für ihn nur akzeptabel, wenn rationale Argumente dafür vorgebracht werden können, daß bestimmte Züge der physikalischen Welt ohne diese Annahme unverständlich erscheinen. Derzeit sei das Urknallmodell, das ohne diese Annahme auskommt, für ihn (noch) vertretbar, wenn auch neuere Daten wie etwa die sog. „Große Mauer“ (eine riesige Galaxienansammlung) eine ernsthafte Bedrohung für dieses Modell seien. Das Urknallmodell sei erschüttert. Es habe aber sehr viele Freiheitsgrade, sei sehr flexibel (d. h.: kaum falsifizierbar).

Alternativmodelle zur Urknallhypothese auf derselben Datenbasis seien möglich und existierten; ein Hypothesenvergleich sei erforderlich. Kanitscheider verwies auf das modifizierte Steady-state-Modell von Hoyle und Wickramasinghe.

Die Problematik der Theorienfalsifikation auf dem Gebiet der Kosmologie wurde beispielhaft deutlich an der Interpretation der Rotverschiebung. Kanitscheider erwähnte folgende reale Situation: Zwei Galaxien mit deutlich verschiedener Rotverschiebung scheinen durch Materiebrücken verbunden zu sein. Handelt es sich um ein Artefakt (sozusagen eine „optische Täuschung“)? Oder ist eine andere Deutung der Rotverschiebung erforderlich, die eine wesentliche empirische Stütze des Urknallmodells zusammenbrechen ließe. Als Abschlußstatement bemerkte der durch diesen Abend leitende Prof. Lenk, die physikalische Kosmologie habe einen Grad von Spekulativität entwickelt, den die klassische Metaphysik sich nicht hätte erträumen lassen.

Um Schöpfungstheologische Aspekte zur Kosmologie ging es in der zweiten Runde, die über kosmologische Fragen handelte. Prof. Horst W. Beck verdeutlichte, daß der „naturalistische Erklärungstyp“, der durch Kant in die Kosmologie eingeführt wurde, nur im Bereich der experimentellen und lokalen Physik als Methode der Wirklichkeitserschließung seinen Sinn habe. Die Anwendung auf Ganzheitszusammenhänge vor allem in der kosmischen Dimension überziehe dagegen die methodischen Bedingungen des Naturalismus. Die Gegenwart könne nicht eindeutig im evolutionistischen Sinne aus früheren Zuständen abgeleitet werden. Eine Urknall-Vorstellung sei allenfalls eine sehr spezielle, unter sehr fragwürdigen Postulaten gewonnene Speziallösung der allgemeinen Zustandsgleichung des materiellen Kosmos. Beck deutete an, daß die kosmologische Gegenwartsdiskussion aus „innerwissenschaftlichen“ Gründen heute eine ganz offene ist, die große Überraschungen und ungewöhnliche Deutungen erwarten lasse. Er verwies z. B. auf die hierarchische Strukturierung und Verteilung der Galaxien und auf unterschiedliche Möglichkeiten der Deutung der Rotverschiebung, die nicht allein aus einer Fluchtgeschwindigkeit der Galaxien (eine der empirischen Hauptstützen für Urknall-Modelle) begründet werden könne. Ein diskutierbares Grundpostulat der Schöpfungstheologie für kosmologische Gesamtvorstellungen könnte sein: Da alle geschaffenen Objekte durch die z.T. meßbaren Kräfte und Feldwirkungen miteinander wechselwirken, könnte man den Kosmos in seinem materiellen Aspekt schlicht als die Superposition aller Wirkungen der geschaffenen Objekte verstehen. Aufgabe wäre in der Tat eine umfassende Feldtheorie dieser Wirkungen.

Weiter müsse im gesamt-kosmischen Bereich mit geradezu „katastrophisch“ begreifbaren Wandlungszusammenhängen gerechnet werden. Die Gegenwart könne nicht nach „uniformitaristischen“ Prinzipien beliebiger Konstanzpostulate aus früheren Zustandsphasen berechnet werden. Dabei sei zu beachten, daß mit jeder kontingenten Schöpfung drei Wesensaspekte im Dasein sind: Physikalische Feldwirkung, Informationsstruktur und seelisch-geistige Individualitäten. Nach dem Schöpfungszeugnis ist die gegenwärtige Gesamtkosmosstruktur einschließlich der Lebensgestalten gegenüber früheren Zuständen nicht komplexer oder höher, sondern eher „ärmer“. Daher müsse man auch im kosmologischen Diskussionsfeld gewaltig umdenken.

Information – die dritte Grundgröße neben Materie und Energie war das Thema des Beitrags von Prof. Dr. Werner Gitt, Direktor an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Er legte dar, daß Information nicht aus Materie bzw. Energie ableitbar, sondern eine eigenständige Größe sei. Bemühungen, Information aus materiellen Prozessen abzuleiten (wie es etwa M. Eigen für möglich hält), seien bisher gescheitert. Solche Versuche widersprächen ohnehin Erfahrungssätzen zur Information. Solche Sätze seien: Es gibt keine Information ohne Code, und Code gibt es nur durch willentliche Vereinbarung. Es gibt keine Information ohne einen Sender und es gibt keine Informationskette ohne einen geistigen Urheber am Anfang. Es gibt keine Information ohne Willen. Information ist eine geistige, keine materielle Größe. Da die Lebewesen informationsgesteuert agieren, könne Leben folglich nicht nur materiell definiert werden, sondern es müsse ein immaterieller Anteil postuliert werden, nämlich Information aus einer geistigen Quelle. Selbstorganisationshypothesen müssen daher scheitern, weil sie diesen Aspekt nicht berücksichtigen. Dies zeigten auch die sogenannten Ursuppenexperimente (Miller-Versuche), bei denen weder Codes noch Information entstanden seien. Synergetische Strukturbildungen seien rein physikalische Phänomene, bei denen keine Information gespeichert werde. Da codierte Information allen Lebewesen zu eigen ist, komme dem richtigen Modell für die Herkunft der Information eine Schlüsselrolle in der Frage „Schöpfung oder Evolution?“ zu.

Der folgende Beitrag handelte über Das Ich und sein Gehirn. Der Karlsruher Biochemiker Dr. Hans Penner stellte das dualistisch-interaktionistische Menschenbild des Hirnphysiologen John C. Eccles und des Wissenschaftstheoretikers Karl R. Popper vor. Diese beiden Wissenschaftler unterscheiden das Gehirn von einem immateriellen Selbst („self-conscious mind“), das in ständiger Wechselwirkung mit dem Gehirn steht. Dieses Selbst sei durch Einmaligkeit, Individualität, Würde, Unverwechselbarkeit, Wille, Entscheidungsfähigkeit, Personalität, Kommunikationsfähigkeit und Verantwortlichkeit gekennzeichnet. Die Annahme eines Selbst werde der Personalität und Würde des Menschen gerecht. Das Selbst sei nach Eccles ständig aktiv und könne Module von Gehirnnervenzellen beeinflussen und registriere seinerseits Schaltzustände dieser Module. Die Stärke des Popper/Eccles’schen interaktionistischen Modells sei sein hoher Erklärungswert. Es beruhe auf empirischen Daten. So können mit diesem Modell willkürliche Bewegungen erklärt werden. Die Integration von Einzelsinnesdaten zu einem Gesamtbild sei eine Leistung des Selbst; für diese Leistung sei keine Instanz im Gehirn zu finden. Das Gedächtnis sei eine Aktivität des Selbst.

Penner fügte zum Schluß seiner Ausführungen einige theologische Betrachtungen an. Das Popper/Ecclessche Menschenbild könne in das biblische Menschenbild eingefügt werden, nach dem die Personalität jedes einzelnen Menschen ein Spiegelbild des allein seienden Gottes ist und nach dem der seelisch-geistigen Struktur des Menschen der Primat vor dem Leiblichen zukommt. Sich so als Geschöpf dem Schöpfer gegenüber zu sehen, könne nicht durch einen logischen Übergang erreicht werden, sondern sei ein Sprung eines Entschlusses.

Über die Bedeutung des Zufalls in Evolutionsmodellen referierte Prof. Dr. Dieter Bierlein, der an Universität Regensburg den Lehrstuhl für mathematische Statistik und Spieltheorie innehat. Zunächst zeigte Bierlein, daß wenn „Evolutionsmodelle“ überhaupt einer wissenschaftstheoretisch prüfbaren Formulierung unterzogen werden können, sie definierbare „quantitative“ Parameter haben müssen. Sonst seien sie pure „Weltanschauung“. Als Wahrscheinlichkeits- und Spieltheoretiker müsse er einen schwammigen „Zufallsbegriff“ als Motor irgendeiner aufsteigenden Evolution ablehnen. In der Wahrscheinlichkeits- und Spieltheorie spreche man von „Zufall“ stets nur im Hinblick auf eine zukünftige Realisierung eines „Zufallsexperimentes“. Dergleichen sei in Evolutionsmodellen nicht gegeben. Darüber hinaus seien „Spielregeln“ und „Spielziele“, wie sie Manfred Eigen in seinen „Evolutionsexperimenten“ einführt, systemfremde Größen, die „natürlicherweise“ in der chemischen Reaktionsordnung der Elementarprozesse und in den selektiven Mechanismen in Populationen so kaum definiert werden können.

Unter der (bisher nicht realisierten) Annahme, es gebe in der „Natur“ konkret beschreibbare Übergangsmöglichkeiten von niedrigen zu höher geordneten Systemgefügen, können für solche Übergänge bestimmte Wahrscheinlichkeiten formuliert und entsprechende Ergebnisse wahrscheinlichkeitsstatistisch und spieltheoretisch auskalkuliert werden. Man könne nun zeigen, daß auch bei Auflösung eines solchen Übergangs in einen langen Evolutionsprozeß an beliebig vielen Übergangsschwellen so unwahrscheinliche Höherordnungsschritte geschehen müßten, daß man in der Summe gleich diesen Vorgang als eine „nicht natürliche Schöpfung“ charakterisieren könnte. Daraus resultiert für Bierlein die Rückfrage, ob es für den denkenden Menschen weniger akzeptabel sei, solche „Schöpfungsschritte“ in der Zeit in beliebige Einzelschritte aufzulösen, oder sie auch simultan in der Zeit eben als ein Summenschöpfungsakt zu begreifen. Bierlein zog die Schlußfolgerung, daß das Leben kein Ergebnis eines bloßen Lotteriespieles nach Zufällen und weltimmanenten Spielregeln sein könne, denn es müßten die Spielregeln und Zielfunktionen von einem Schöpfer vorgegeben sein.

Mythos, Logos, Evolution – Schöpfung oder Entwicklung? war das abschließende Thema, dem sich Frau Prof. Dr. Alma von Stockhausen widmete. Die Freiburger Philsosophin gab der Semesterdiskussion einen letzten Höhepunkt. Ihr gelang es in einer vortrefflichen und persönlich sprachlich packenden Weise zusammenzufassen. Sie sieht in einer besonderen Schärfe, daß sich die Evolutionsphilosophie mit ihren Selbstorganisationstheorien nicht in ein christliches Schöpfungs- und Menschenbild einordnen läßt. Dies zeigte Frau von Stockhausen beispielhaft an der Deutung des Todes. Die jetzige sterbliche Gestalt der Materie sei als Folge der Schuld zu begreifen. Die paradiesische Materie war nach christlicher Überzeugung unsterblich. Daß die Schuld sich gerade in der Sterblichkeit der Materie niederschlagen soll, sei leicht zu verstehen, wenn man festhält, daß die Verleiblichung des Geistes die Möglichkeit seiner liebenden Anverwandlung an den anderen als anderen ausdrückt. Wenn der Leib die Einfaltung jenes Geistes beinhaltet, der sich selbst zurücknehmend auf den Weg zum anderen macht, wird die Verletzbarkeit dieser Hingabeform verständlich. Die in Freiheit vollzogene Erstreckung auf den anderen hin, die selbstvergessene Einräumung für den anderen, könne in dieser Öffnung vollständig mißbraucht werden. Die ausgestreckte Hand, der geöffnete Leib könne als Instrument des Sklavendienstes, als Objekt egoistischer Selbstpotenzierung verraten werden. Der Tod komme als Mißbrauch schenkender Liebe in die Welt. Dagegen sei der Tod evolutionstheoretisch gesehen ein Mechanismus, der Leben erst hervorbringt.

Genausowenig wie der Einbruch des Todes naturgesetzlich zu verstehen sei, könne auch die Erlösung von einem sterblichen Leib, der auch noch als solcher Ausdruck schenkender Liebe ist, nicht naturgesetzlich geschehen. Nur in einer jenseitigen Welt, die die Entscheidung dieser Welt endgültig realisiert, könne der Leib entsprechend der hier und jetzt getroffenen Entscheidung entweder zu einer ewigen Geschichte schenkender Liebe – oder aber zum Kampf aller gegen alle auferstehen.

Das Denken unserer Tage werde jedoch von dem an die Stelle des göttlichen Lebens getretenen biologisch verstandenen Begriff des Lebens beherrscht. Die fast kritiklose Geltung der Evolutionstheorie als konkreter Schöpfungstheologie werde nur unter der Voraussetzung verständlich, daß dem Entwicklungsbegriff als dialektischer Versöhnung aller bisher von der Metaphysik entfalteten Gegensätze zugestimmt wird.

Ein Gott aber, der den Tod und die Tötung, das Böse als Schöpfungsprinzip praktiziert, lasse sich nicht als das an sich Gute festhalten. Sittlichkeit als Forderung an die menschliche Freiheit sei natürlich auch nur solange erstrebbar, als es das absolut Gute als Ermöglichung und Ziel der Freiheit gebe.

Insgesamt war es eine sehr gelungene und fruchtbare Veranstaltungsreihe. Fortsetzungen oder ähnliche Kolloquien an anderen Universitäten wären wünschenswert.